Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
Mädchens verriet ihnen, dass sie nach ihrem Tod über den Boden geschleift worden war. An der Innenseite der Tür war ein in die Höhe strebender Bogen aus Hochgeschwindigkeitsspritzern zu sehen, einzelne Blutspritzer waren auf der Wand darüber und der Decke gelandet, was vermuten ließ, dass das Mädchen den Türgriff schon fast in der Hand gehabt hatte, als die Kugel sie am Hinterkopf traf. Projektilsplitter in der Holztür und der Wand, außerdem Knochenstücke und zwei Zähne. Sie war aus nächster Nähe erschossen worden, das kreisförmig angesengte Haar um die Eintrittswunde verriet, dass der Lauf nur wenige Zentimeter entfernt gewesen war.
»Kein Mensch hat etwas gehört«, sagte Joe.
»Schalldämpfer – geht ja nicht anders«, sagte Max. Es war die einzige Erklärung, die ihm einfiel. Das Haus befand sich in einer Reihe einstöckiger Wohnhäuser, die je ungefähr fünfzehn Meter voneinander entfernt standen. Die Wände eher von der dünnen Sorte.
Max schaute sich um. Er glaubte, irgendetwas Ungewöhnliches an den Leichen bemerkt zu haben, aber er wusste nicht mehr, was.
Die beiden Leichen in der Mitte des Zimmers waren die von Neptune Perrault und Crystal Taíno. Neptune hatte sein rechtes Bein über die von Crystal gelegt, die geschwollenen, verwesenden Finger seiner rechten Hand waren mit denen ihrer Linken verschränkt, und sein aufgeplatzter Kopf – sauberer Schuss in die Schläfe – lag an Crystals Hals, als hätte er sich noch im Tod an sie geschmiegt. Crystal lag mit dem Gesicht nach unten, eine Kugel im Hinterkopf.
Max sah die beiden lange an, er konnte den Blick nicht von der Szene losreißen, die ihm ebenso anrührend und zärtlich wie grotesk vorkam.
»Er hat nicht einmal versucht, zu fliehen oder sich zu wehren«, sagte er zu Joe. »Er hat sich einfach hingelegt und ihre Hand genommen. Er wollte nicht ohne sie leben, sondern mit ihr sterben. Ich will, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt.«
»Deshalb sind ja nur wir zwei hier«, sagte Joe und schaute Max prüfend an, weil er eine völlig neue Seite an ihm sah. Max hatte schon Schlimmeres gesehen als das hier – vergleichsweise saubere, schnelle Morde, relativ schmerzlos für die Opfer, keine Hinweise auf Folter oder Verstümmelung – und nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Er hatte die Leichen in Augenschein genommen, den Tatort interpretiert, erste Schlüsse gezogen. Das Einzige, was ihm zusetzte, waren ermordete Kinder, aber das ging praktisch allen Kollegen so. Die meisten reagierten mit Wut, manche weinten, manche konnten nicht mehr arbeiten. Max gehörte in die erste Kategorie. Aber seine jetzige Reaktion war Joe neu. Max sah traurig aus, als hätte er die Opfer gekannt. Joe fragte sich, ob diese neue Frau, mit der sich Max gelegentlich zum Mittagessen traf, seine emotionale Seite geweckt hatte, ob er vielleicht ein klein wenig in sie verliebt war. Er hatte erstaunlich wenig von ihr erzählt, was sehr ungewöhnlich war für ihn. Nicht einmal ihren Namen hatte er Joe verraten.
Ein halbes Dutzend Projektilhüllen lag in der Nähe der Leichen auf dem Fußboden. Der Mörder hatte nachgeladen. Zwei steckte Joe sich ein und überließ der Spurensicherung den Rest.
Geradeaus durch lag das Badezimmer, zersplitterte Fliesen und Blut überall. Madeleine Cajuste hatte mindestens fünf Kugeln in den Oberkörper und eine durch die rechte Hand bekommen. Die Badezimmertür war von innen verschlossen gewesen.
Das Fenster stand offen, es ging in den Garten hinaus: ein kleines Stück Rasen, Rosenbüsche und hinten eine Palme.
Max bemerkte mehrere kleine weiße Stofffetzen, die an den Splittern der Fensterbank hängen geblieben waren. Er zog einen heraus und zeigte ihn Joe.
»Sagtest du nicht, sie hatte ein Kind? Ich wette, sie hat es aus dem Fenster geworfen. Als die ersten Schüsse fielen, ist sie hier reingerannt, hat die Tür verriegelt und das Kind in Sicherheit gebracht. Vielleicht hat sie auch um Hilfe geschrien. Trotzdem: Sie haben das Kind mitgenommen. Sehen wir uns die anderen Zimmer an.«
Joe ging in die Küche. Teller und Besteck auf einem Ständer neben der Spüle, verfaultes Obst in einer großen Schale auf der Arbeitsplatte. Alle Lebensmittel im Kühlschrank waren abgelaufen.
Max schaute sich in den Schlafzimmern um. Das von Ruth Cajuste lag direkt neben dem Badezimmer. Sie hatte in einem Doppelbett geschlafen, auf dem Nachttisch eine Bibel und ein altmodischer Wecker. Die Vorhänge waren zugezogen, Eisengitter vor den
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