Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
auch auf der Fensterbank stapelten sich Akten. Sie hatte keinerlei Fotos und keine persönlichen Gegenstände in ihrem Büro. Hier war Arbeit. Ihr Privatleben ließ sie zu Hause.
Sie tauschten ein paar Nettigkeiten aus. Ihr Junge war wohlauf, der Ehemann auch. Sie merkte, dass Max es eilig hatte, und kam zum Punkt.
»Was kann ich für dich tun?«
»Erinnerst du dich noch an die Proben aus dem Magen des Gerichtsmörders? Habt ihr die schon identifiziert?«
»Die Tarotkarte, an die sich jeder erinnert.« Raquel stand auf, ging zum Aktenschrank und zog eine Schublade mit der Aufschrift »Laufende Fälle« auf. Sie fuhr mit dem Finger über die Hängeordner, zog eine orangefarbene Mappe heraus und blätterte darin, bis sie die Liste gefunden hatte, nach der sie suchte. Dann beugte sie sich zu der Schublade mit der Aufschrift »Verknüpfungen« hinunter und zog eine graue Mappe heraus.
»Interessante Mahlzeit, die der Mann da hatte!«, bemerkte sie, als sie sich setzte und die Akte überflog. »Der erste Gang unseres Mörders war eine köstliche Suppe auf der Basis von Koo-Aid mit Sand, gemahlenen Muscheln und Knochen – wir sind ziemlich sicher, dass es menschliche Knochen sind, aber das wäre noch zu beweisen. Hauptgang: geschnetzeltes Steak aus der Tarotkarte. Hochwertiges Papier mit Kunststoffbeschichtung, daher schwer verdaulich. Dazu hatte er einen schmackhaften Salat aus Cashewblättern, Rhus – Giftefeu -, zwei Arten Brennnessel, Alraunwurzel und eine Bohne, die ebenfalls noch zu bestimmen wäre. Eher selten, die Gute. Der dritte Gang bestand aus einer Beilage aus ausgesucht ekligen Kriechtieren: einer noch zu bestimmenden Schlange, ein paar Tausendfüßern, Tarantulabeinen, Agakröte und …«
»Was für eine Kröte?«
»Agakröte. A-G-A. Ihre Drüsensekrete sind giftig. In großen Dosen rufen sie Katatonie hervor. In der Leber und den Nieren des Mörders haben wir Spuren von Tetrodoxin gefunden. Tetrodoxin ist ebenfalls giftig, man findet es gemeinhin im Kugelfisch. Eine ausreichend hohe Dosis kann einen Menschen ins Koma schicken oder schlichtweg umbringen.
Das Ganze zusammen ergibt einen Gifttrank, und Ziel der Operation war es, dass die Person, die ihn zu sich nimmt, die Kontrolle über die eigenen Handlungen verliert«, erklärte Raquel und tippte auf die graue Akte. »Mir ist das schon öfter untergekommen. Sieh mal.« Sie schob ihm die Akte über den Tisch.
Sie enthielt den Autopsiebericht eines Schwarzen, fünfunddreißg Jahre alt, der am 13. Februar 1979 in den Verkehr auf der US1 gelaufen war. Er war von einem Buick erfasst und getötet worden, der Wagen hatte sich überschlagen, und Fahrer und Beifahrer waren ebenfalls ums Leben gekommen. Der Mageninhalt des Mannes war fast identisch mit dem des Mörders von Moyez – bis auf die Bohne und die Tarotkarte.
Dann fiel Max etwas anderes auf: Der Mann war am 8. Juli 1977 für tot erklärt worden. Er hieß Louis-Juste Gregoire, war haitianischer Staatsbürger und hatte in Overtown gelebt. Er war auf dem städtischen Friedhof von Miami beigesetzt worden. Laut dem ersten Totenschein war er eines natürlichen Todes gestorben.
»Du hast bestimmt schon mal von Zombies gehört«, sagte Raquel.
»Klar.«
»Vergiss alles, was du zu wissen glaubst – Nacht der lebenden Toten und das ganze Zeug. In Haiti, Louisiana, bestimmten Gebieten Westafrikas und Südamerikas werden zwei Arten von Voodoo praktiziert. Einmal die traditionelle Variante namens Rada , die friedlich und harmlos ist, und die Hollywoodvariante: die dunkle Seite namens Petro oder Hoodoo . Da werden böse Geister verehrt, Leute mit Todeszaubern belegt, Menschen geopfert, Orgien gefeiert. Zombies kommen aus dem Hoodoo .
Vereinfacht gesagt, läuft das so, dass ein Medizinmann einer Person entweder oral oder lokal einen Zaubertrank verabreicht. Durch diesen Trank werden die Leute paralysiert, und wichtige Bereiche des Gehirns werden lahmgelegt. Die Leute erwecken den Eindruck, als wären sie klinisch tot. Sie atmen kaum mehr, der Puls ist sehr, sehr schwach, das Herz schlägt nur noch ganz langsam. Sie werden begraben.
Ein paar Tage später buddelt der Medizinmann sie wieder aus und erweckt sie mit einem Gegengift wieder zum Leben. Nur: So ganz kehren sie nicht mehr ins Reich der Lebenden zurück. Sie sind am Leben, aber ihr Geist ist tot. Sie erkennen niemanden mehr wieder, weder Freunde noch Verwandte, niemanden.
Der Gifttrank, der ihnen verabreicht wurde, enthält unter anderem auch
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