Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
der Schere nicht schnell genug ging. Dann hatte sie ihm die Haare in den Mund gestopft und wollte ihn zwingen, sie zu schlucken. Er war fast erstickt daran. Aber trotzdem, wenn er heute daran zurückdachte, an das kurze Glück, das er an jenem Nachmittag erlebt hatte, war es das irgendwie sogar wert gewesen. Diesen Moment konnte sie ihm nicht mehr wegnehmen, niemals, egal was sie anstellte.
Carmine hatte noch mehr Veränderungen an sich vorgenommen, hatte sich eine völlig neue Verkleidung zugelegt. Er gab sich als Anstreicher aus, nachdem er einen Malertrupp am Haiti Mystique hatte vorbeifahren sehen. Sie waren auf dem Weg zu den Häusern auf der 62nd Street Ecke North East 2nd Avenue gewesen, die Sam gerade renovieren ließ, nicht weit vom Dupuis-Gebäude. Carmine hatte sich einen gebrauchten Pickup besorgt, acht Eimer weiße und gelbe Farbe, Pinsel und Abdeckpapier und alles auf der Ladefläche deponiert. Und um seinen Look zu vervollkommnen, hatte er sich einen khakifarbenen Overall gekauft und Sicherheitsschuhe mit Stahlkappe, die er mit verschiedenen Farben beträufelt hatte, damit sie gebraucht aussahen. Sam hatte gesagt, er sehe aus wie einer Jackson-Pollock-Ausstellung entsprungen. Und er hatte seine Verkleidung an ein paar Kreuzen getestet. Hatte sie auf Español angequatscht. Die hatten ihn nur einmal von oben bis unten angeguckt und gesagt, sie seien keine Suppenküchenfotzen. Er hatte sich nicht zu erkennen gegeben. Hatte sich nur umgedreht und triumphierend die Faust in die Luft gestreckt. Bei einem Maler sah keiner zweimal hin, nicht mal die Nutten, was bedeutete, dass er vor den Bullen sicher war. Und die Nachrichten hatten auch nichts Neues über den Typen im Friseurladen gebracht, was allerdings nicht heißen musste, dass sie nicht nach ihm suchten.
Er sah auf die Uhr: 14.37 Uhr. Gut, dachte er, mitten in ihrer Schicht. Er wollte sie überrumpeln, sich unbemerkt von hinten anschleichen. Julita Leljedal.
Seit eineinhalb Jahren hatte er schon nach Julita Ausschau gehalten. Damals war sie aus der Stadt verschwunden und hatte Geld mitgenommen, das ihm gehörte: 1250 Dollar. Letzte Woche hatte ein Pik ihm erzählt, sie habe sie in der – man höre und staune – in der Fleischabteilung im HFS arbeiten sehen.
Als er sie das erste Mal gesehen hatte – 1976 war das gewesen -, hatte Julita als Stripperin in einem Luxusklub namens Luckies auf der Le Jeune gearbeitet. Damals hatte er noch die Stripklubs nach potenziellen Karos und Kreuzen durchforstet, und die Mädchen waren meist ziemlich leichte Beute gewesen.
Julita war eine der hübschesten, sexysten Frauen, die er je gesehen hatte: langes schwarzes Haar, blaugrüne Augen von der Farbe des Meeres, helle, bronzefarbene Haut. Sie war zierlich, knapp über einsfünfzig und ziemlich flach, aber Mann, was für ein Arsch! Die Männer waren von weither angereist, um sie tanzen zu sehen. Sie hatte so eine Nummer mit einem silbernen Stab. Sie guckte sich irgendeinen Typen aus, sah ihm in die Augen, schürzte die vollen Lippen, leckte an dem Stab und fuhr mit der Hand daran auf und ab, dazu schwang sie die Hüften und wackelte mit dem Arsch. Und jedes Mal hatten die Kerle sie mit allem Geld überschüttet, das sie dabeihatten. Sie hatte die unheimliche Gabe, sich immer genau den richtigen Typen rauszupicken. In der Nacht, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie sich Carmine ausgesucht, und er hatte ihr nicht die üblichen Fünf- und Zehndollarscheine zugesteckt, sondern gleich einen ganzen Packen Hunderter.
Er hatte sie zusammen mit ihrer Cousine Kitty in einer Wohnung mit Blick auf den Maximo-Gomez-Park untergebracht. Sie hatte weitergetanzt, nur mit dem Unterschied, dass sie die reichsten Kunden jetzt mit nach Hause nahm und vögelte.
Cousine Kitty hatte anfänglich nicht als Nutte gearbeitet. Sie machte eine Ausbildung zur Krankenschwester, und ohnehin war sie so unfassbar hässlich – schlechte Haut, dicke Brille mit rosa Rahmen und fettiges braunes Haar, das aussah wie das Fell eines nassen Esels -, dass Carmine sie nicht mal als Pik hätte laufen lassen können, selbst wenn er gewollt hätte.
Doch eines Nachts hatte einer von Julitas Freiern ihr 1000 Dollar dafür geboten, ihm einen Einlauf zu verpassen. Kitty wusste genau, was sie zu tun hatte. Am nächsten Abend war der Typ wiedergekommen, er wollte mehr.
Carmine hatte eine günstige Gelegenheit gewittert und Kitty für die Kunden engagiert, die auf medizinische Prozeduren abfuhren.
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