Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
Sie und Julita schlüpften in Krankenschwesteruniformen aus Gummi und verschafften den kranken Perverslingen die Zeit ihres Lebens. Ein Jahr lang hatte Carmine gutes Geld damit gemacht. Doch im Februar 1979 kam es zum Desaster. Kitty hatte bei einem Einlauf einen Fehler gemacht und dem Typen den Darm aufgerissen. Er starb noch in der Wohnung. Carmine hatte die Leiche abgeholt und entsorgt. Als er zurückkam, waren Kitty und Julita verschwunden. Ihre Klamotten und die 1250 Dollar, die der Typ bezahlt hatte, hatten sie mitgenommen. Seither war er auf der Suche nach den beiden gewesen – und insbesondere nach Julita.
Er stieg aus dem Pickup und ging auf den Supermarkt zu, der riesig war und nicht nur Lebensmittel verkaufte, sondern auch Kleidung, Pflanzen, Elektrowerkzeuge, Fernseher und sogar ein paar kleinere Autoteile. Alles auf Spanisch, von den Schildern bis zur Hintergrundmusik und den Gesprächen, die er um sich herum hörte.
Er ging in die Fleischabteilung.
Es dauerte eine Weile, und er musste zweimal hingucken, bis er Julita erkannt hatte, erstens weil sie die Haare unter ein weißes Netz gestopft hatte, zweitens, weil sie diese Uniform trug – ein sackartiges dunkelblaues Kleid mit rot-weißen Abnähern – und drittens, weil sie einige Pfunde zugelegt hatte. Ihre Hüften waren breiter, der Arsch größer, die Waden ungefähr so dick wie seine Taille und der Hals auf dem Weg zum Doppelkinn. Als sie für ihn gearbeitet hatte, war sie höchstens fünfundzwanzig gewesen. Jetzt sah sie zehn Jahre älter aus. Mamacita hatte ihren Sexappeal verloren.
Er beobachtete sie von weitem, wie sie eingeschweißte saftig rote Steaks aus einem übervollen Einkaufswagen ins Regal packte. Irgendwann schob sie den Einkaufswagen ein Stück weiter und füllte das nächste Regal auf.
Als sie ihm den Rücken zudrehte, ging er zu ihr und begrüßte sie, wie er sie immer begrüßt hatte.
»Hola chica.«
Sie erstarrte mitten in der Bewegung. Er sah, wie sich ihre Schultern ein klein wenig dehnten, als sie tief einatmete, bevor sie sich umdrehte.
Sie war es, kein Zweifel. Ihr Gesicht war breiter geworden, und sie sah müde und blass aus, aber ihre Augen waren noch wie früher.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte sie. Sie wirkte überhaupt nicht besorgt oder verängstigt, wie er erwartet hatte, sondern musterte ihn einfach nur vom Haar bis zu den farbbeklecksten Schuhen.
»Die Welt ist klein, Baby.« Er lächelte und fragte sich, warum sie gar nichts zu seinem Äußeren gesagt und warum sie ihn überhaupt erkannt hatte.
»Ich arbeite nicht mehr für dich, Carmine«, sagte sie.
»Das sehe ich.« Grinsend nickte er Richtung Einkaufswagen. »Du bist echt voll auf den Knien gelandet, Kleine! Aber da warst du ja bereits.«
»Das ist besser als das, was ich früher gemacht habe.«
»Wenn du das sagst.«
»Was willst du?«
»Meine 1250 Dollar.«
»Du machst so viel Geld mit deinen blöden Nutten und kommst wegen lächerlicher 1250 Dollar zu mir?«
»Ach, 1250 Dollar findest du lächerlich, ja? Das heißt ja wohl, dass du 1250 Dollar hast, die du mir geben kannst.«
»Ich habe keine 1250 Dollar, die ich dir geben kann«, sagte sie. »Ich habe nicht mal zwölf Dollar fünfzig, die ich dir geben könnte. Ich habe überhaupt gar nichts, das ich dir geben könnte, weil ich nämlich raus bin aus dem Leben. Und weißt du, warum ich gegangen bin? Nicht nur wegen dem alten Perversling damals, sondern weil ich im zweiten Monat schwanger war.«
»Echt? Und du hast es behalten?«
»Alle beide.«
»Du hast Zwillinge?«
»Mädchen.«
»Wow.« Etwas anderes fiel Carmine nicht ein. Das erklärte, warum sie so zugelegt hatte. Wenn und falls – was echt selten war, weil die Mädchen alle verhüten mussten – eine Karte schwanger wurde, wurde sie zur Abtreibung gezwungen. Na ja, zumindest die, die Geld brachten. Ein Pik oder ein Kreuz auf dem Weg zum Pik wurde einfach laufen gelassen.
»Wer ist der Vater?«
»Keine Ahnung«, sagte sie. »Irgendein Freier.«
»Wie ist das passiert?«
»Was glaubst du, wie es passiert ist?«
»Aber ich habe dir doch die Pille besorgt.«
»Davon bin ich fett geworden.«
Nicht so fett wie jetzt, dachte er, verkniff sich aber die Bemerkung.
Ganz ehrlich, er wusste nicht, was er sagen sollte. Glückwunsch wäre wohl noch das Nächstliegende, aber er hatte noch nie irgendjemandem zu irgendetwas gratuliert, und bestimmt nicht einer Nutte zu einem Kind.
Er war baff und ein klein wenig enttäuscht.
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