Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
König der Schwerter, wartete auf den Tod.
Von hinten war ein grelles Licht auf ihn gerichtet und leuchtete seine unmittelbare Umgebung aus: einen kalten, grauen Betonfußboden mit dick aufgepinselten rötlich braunen Markierungen: links ein Kreuz, rechts ein Stern, dazwischen eine lange, vertikale Linie. Es war ein riesiges Vévé , ein Symbol, das im Voodoo unter anderem dazu benutzt wurde, bei bestimmten Zeremonien Götter und Geister herbeizurufen. Meistens wurden Vévés aus Mehl, Sand oder Maismehl gemalt, aber dieses sah aus wie aus Blut. Dahinter standen die Barone und sahen ihn an. Seine Füße steckten in einem mit Wasser gefüllten Löscheimer aus Metall. Seine Hände lagen mit den Handflächen nach unten auf seinen Oberschenkeln.
Er sah, dass er nackt war und dass seine Arme, Beine und alles, was er von seinem Brustkorb sehen konnte, komplett haarlos waren und seltsam glänzten. Dann fiel ihm auf, dass er überhaupt nicht gefesselt war. Theoretisch war er frei aufzustehen.
Er schämte sich seiner Nacktheit und wollte sich bedecken, aber er konnte die Hände nicht bewegen, nicht einmal das kurze Stück zu den Genitalien. Dann versuchte er, die Füße aus dem Eimer zu nehmen, aber sie rührten sich nicht von der Stelle, es war überhaupt nicht die kleinste Bewegung wahrzunehmen. Dann versuchte er, die Arme zu heben. Nichts passierte. Er versuchte es noch einmal. Klar und deutlich hörte er den Befehl, der von seinem Gehirn kam, dringlich und mit seiner eigenen Stimme, doch er erzielte keinerlei Wirkung, seine Befehlsgewalt versickerte in kaltem Fleisch und kalten Knochen. Seine Arme und Beine hatten sich keinen Millimeter bewegt. Er spürte nichts. Nicht einmal das kalte Zittern vom Entzug. Es war, als wären alle Verbindungen zwischen seinem Bewusstsein und seinem Körper gekappt worden und er sei jetzt darin gefangen und nur der Tod könne ihn befreien.
Jean Assad, armes Schwein, dachte Carmine, während er betrachtete, wie er dort unten auf dem Stuhl saß, ein wiedergeborenes Baby, eingeölt und glänzend, der Körper von dem Trank erstarrt, die Lippen fest zusammengenäht, die Nase ebenfalls mit einem Stich fast zugenäht, sodass er gerade noch genug Luft bekam und gerade noch so weit am Leben war, dass Solomon kommen und ihm die Seele stehlen konnte. Assad saß in der Mitte des Vévés , das aus seinem eigenen Blut gemalt war.
Jean le Chat, so hatten sie ihn in Haiti genannt, kurz: den Katzenmann. Damals hatte er sich sein Geld damit verdient, dass er Katzen und ihre Jungen klaute, vor allem schwarze, und sie an die Hougans und Mambos verkaufte, die sie für ihre Wahrsagerei brauchten. Die beliebteste und zuverlässigste Methode der Hellseherei bestand darin, dass der Priester oder die Priesterin die Katze tötete und über Nacht auf einem Grab liegen ließ. Am nächsten Morgen verzehrten sie die gebratenen Eingeweide des Tieres mit Meerzwiebel und Galangawurzel und konnten dann in die Zukunft sehen.
So hatte der Katzenmann Carmines Mutter kennen gelernt. Er war regelmäßig mit einem dicken, zappelnden Sack auf dem Rücken zu ihr gekommen, das Gesicht und die Hände von blutigen Kratzern übersät. Seine Mutter hatte sich dann eine Katze ausgesucht, meist die wildeste und wütendste von allen, die mit Zähnen und Klauen auf sie losging, die mit dem stärksten Willen, die zu töten nicht so schnell gehen würde. Carmine erinnerte sich an Jeans Zahnlückengrinsen und daran, dass er nie viel geredet hatte, nur gelächelt, und an sein ungewöhnlich weiches Haar. Angeblich war er der uneheliche Sohn eines reichen Syrers, bei dem seine Mutter als Hausmädchen gearbeitet hatte, daher der Name. Wenn man ihn danach gefragt hatte, hatte er mit den Schultern gezuckt und gesagt, er wisse es wirklich nicht und es sei ihm auch egal. Er war der, der er war, hatte er gemeint, mehr gebe es dazu nicht zu sagen. Wer wusste schon, wo die ganzen Namen herkamen?
Solomon hatte Jean Assad auf Eva Desamours‘Rat hin in sein Unternehmen aufgenommen, ungefähr ein Jahr nach seiner Gründung. Er drehte die kleinen Dinger, hauptsächlich Ladendiebstahl und Einbrüche. Darin war er gut, aber er hatte seine Beschränkungen, die er nie überschreiten würde. Er besaß weder den Ehrgeiz noch den Mumm oder den Grips, in neue, komplexere Gebiete vorzudringen, also blieb er auf der untersten Stufe und tat genau, was man ihm sagte, ohne zu fragen: ein zuverlässiger Soldat, solange man nicht zu viel von ihm erwartete. Als
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