Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
hochgenommen zu werden. Wenn du den Namen deines Feindes nicht kennst, wie willst du ihn finden? Solomon hatte eine Organisation aufziehen wollen, die sich so stark wie möglich von amerikanischen Banden unterschied, mit denen Bullen und Rivalen umzugehen gewöhnt waren und bei denen sie immer dem gleichen Ansatz folgten. Auch eine richtige Struktur gab es nicht. Nur Solomon und einige wenige enge Vertraute, die sich untereinander nur in den seltensten Fällen kannten. Kein Mensch wusste genau, wer für Solomon Boukman arbeitete und wer nicht.
Die Trommeln ertönten – ein Schlag, dann drei Sekunden Pause, ein tiefer, echoartiger Laut wie von einer schweren Last, die auf dem Grund eines tiefen, trockenen Brunnens aufschlägt. Anfänglich hatte es gar keine Musik gegeben, dann waren Kassetten mit echten Voodoo-Trommlern zum Einsatz gekommen, die in den Bergen Haitis aufgenommen worden waren, und irgendwann hatte Solomon die Trommler einfliegen lassen und in Miami angesiedelt. Wenn sie nicht bei den Zeremonien spielten, traten sie von New York bis New Orleans in Klubs auf.
Beim zwölften Schlag fassten sich die Barone bei den Händen, das Klatschen von Leder auf Leder war zu hören. Dann erlosch hinter dem Katzenmann das Licht. Einen Moment lang standen sie in völliger Dunkelheit Hand in Hand da. Carmine spürte den nervösen Puls des Typen zu seiner Linken; er hörte ihn schlucken und etwas heftiger durch die Nase atmen. Wahrscheinlich war er zum ersten Mal dabei.
Beim dreizehnten Trommelschlag ging langsam ein dunkles, aber kräftiges, tiefrotes Licht an, das den Kreis in ein sattes, fast flüssiges Glühen tauchte.
Beim fünfzehnten Trommelschlag setzten sich die Barone in Bewegung, sehr langsam, gegen den Uhrzeigersinn, einen Schritt nach dem anderen, einen Schritt pro Trommelschlag.
O Gott!, dachte Jean. Er kommt.
Die Riesenmenschen bewegten sich im Kreis um ihn herum, langsam und gemessen wie der Mechanismus einer unbarmherzigen Maschine, ein kompliziertes Schloss, das sich langsam öffnete und das Grauen entließ.
Jetzt hatte er Angst, richtig Angst, mehr Angst als je zuvor in seinem Leben – eine absolute und alles durchdringende Furcht.
Er wusste, was ihm bevorstand, all diese Dinge, die er bis jetzt nicht geglaubt hatte: Solomon würde ihm den Hals aufschlitzen und sein Blut trinken, während er noch am Leben war, würde vor seinen eigenen Augen das Leben aus ihm heraussaugen. Und dann würde er seine Seele stehlen.
Die Trommel schlug schneller. Er spürte sie im Magen, wie sie den Inhalt in Bewegung brachte, wie sie alles springen ließ und zum Leben erweckte. Plötzlich fühlte es sich an, als hätte er einen Sack lebender Kröten verschluckt, die jetzt in ihm herumhüpften und gegen seine Magenwände sprangen, weil sie hinauswollten. Es tat richtig weh, es war keine Übelkeit, sondern ein Schmerz, als würde er von einer eisernen Faust geschlagen.
Die Trommel wurde noch schneller. Eine zweite kam hinzu, schlich sich unauffällig von hinten ein, eine Snare, die einen Rhythmus dazugab. Die Barone bewegten sich im Takt, immer schneller. Langsam wurden sie undeutlich, das Weiße verlief ins Schwarze, die Umrisse verschwammen. Er versuchte, einen zu fokussieren und ihm zu folgen, aber er konnte den Kopf nicht wenden. Er versuchte die Augen zu schließen, aber auch das ging nicht. Er wollte wegschauen, aber nicht einmal das funktionierte.
Jean wusste, dass er nicht gewinnen konnte. Er wusste, es war vorbei, er war erledigt.
Jetzt drehten sie sich so schnell, dass sie zu einer einförmigen grauen Masse verschwammen, nur das rote Licht, das auf ihre Uhrenketten und die Gürtelschnallen traf, schleuderte irrsinnige hellrote, blaue, grüne, gelbe und orangefarbene Reflektionen wie todbringende Fledermäuse durch den Raum.
Er wurde schläfrig. Er spürte, wie er langsam wegdöste, wie er abtauchte und sich nicht mehr die Mühe machte, sich dagegen zu wehren.
Die Schmerzen im Bauch waren mörderisch. Inzwischen fühlte es sich an, als hätte er ein hungriges Nagetier verschluckt, das ihm mit aller Kraft Klauen und Zähne in die Magenwände schlug.
Während die Trommeln immer schneller wurden, fingen die Barone an zu singen:
Vin Baron
Baron l’ap vini icit,
Vin Baron
Baron l’ap vini icit,
Vin Baron
Baron l’ap vini icit,
Vin Baron
Baron l’ap vini icit
Die Lichter blendeten ihn, brannten ihm in den Augen wie Pfefferspray. Er spürte, wie ihm Tränen über die Wangen
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