Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
Shuffle war in der Kneipe gelaufen, in der er sich betrank, nachdem seine damalige Freundin, eine Kellnerin namens Bernadette, mit ihm Schluss gemacht hatte. Sie waren nicht sehr lange zusammen gewesen, drei Wochen und ein paar Tage, weshalb die Trennung nicht allzu schlimm war, und im Grunde war er regelrecht erleichtert, sie los zu sein, weil er den Verdacht hegte, dass sie nicht ganz richtig war im Kopf. An jenem Abend hatte sie ihm eröffnet, dass sie Buddhistin werden wolle und dass es für ihr Karma nicht gut sei, mit einem Polizisten zusammen zu sein. Er hatte genickt, ihr alles Gute gewünscht und war in die Kneipe gegangen. Während er noch bei der ersten Flasche war, lief im Fernsehen eine Dokumentation über die Weltreligionen, Schwerpunkt Buddhismus. Zehn Minuten waren dem berühmten Fall jenes Mönchs in Saigon gewidmet, der sich aus Protest gegen die antibuddhistische Politik seiner Regierung im Jahr 1963 mit Benzin übergossen und verbrannt hatte. Die Bilder des brennenden Mönchs waren just in dem Moment auf dem Bildschirm erschienen, als Bruce in der Jukebox in »4th of July, Asbury Park (Sandy)« von der Kellnerin sang, mit der er zusammen war und die ihm mitteilte, dass sie nicht mehr für ihn brenne. Joe hatte laut losgelacht. In dem Moment war er Bruce-Fan geworden und ihm treu geblieben.
Theresa brachte ihm ein FedEx-Paket, das an ihn und Max adressiert war.
Es kam vom NYPD und enthielt eine Kopie der Nora-Wong-Akte.
Joe öffnete es. Ein Stapel Fotos fiel heraus und verteilte sich mit einem feuchten Klatschen auf dem Tisch. Hochglanzfotos. Der Fotograf war von der gewissenhaften Sorte: Er hatte jedes Detail zweimal abgelichtet.
Folter war in Miami mittlerweile gang und gäbe, aber so etwas hatte Joe noch nie gesehen. Es sah aus, als wäre eine Meute ausgehungerter Bluthunde auf die Opfer losgelassen worden. Sie hatten bis kurz vor dem Tod gelitten, ihre Gesichter waren zu Masken extremer Qual erstarrt. Alles war voll Blut. Ein irres Gemetzel, Vergewaltigung und Verstümmelung. Das Fleisch war ihnen bis auf die Muskeln und Knochen vom Gesicht gerissen worden, die innere Anatomie des Kopfes freigelegt, es erinnerte Joe an zerrissene Poster auf einer Plakatwand, wo auch noch die zweite Schicht und die darunter zu sehen waren. Die Frau war skalpiert worden. Und auch die Kinder hatten sie nicht verschont – ihnen war es noch viel schlimmer ergangen.
Übelkeit krampfte Joe die Eingeweide zusammen, es drehte ihm den Magen um. Keuchend entwich ihm die Luft aus den Lungen, und ein Würgreflex verengte ihm die Kehle. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er stand auf, und seine Beine waren schwach, zittrig, wie hohl. Er ging in den Waschraum. Er versuchte es, aber er konnte sich nicht übergeben. Er spritzte sich Wasser ins Gesicht und atmete tief durch. Seine Hände zitterten.
Er ging zurück ins Büro, holte Max’ Flasche Wild Turkey aus der untersten Schreibtischschublade und nahm einen tiefen Schluck.
Dann schob er die Fotos zusammen und drehte sie um.
Er las die Berichte. Die Bisswunden stammten von einem Menschen. Der Täter hatte ein Gebiss mit künstlichen Piranhazähnen getragen. In den Wunden waren hohe Konzentrationen von Zucker gefunden worden, was vermuten ließ, dass der Täter vor jeder Attacke große Mengen Süßigkeiten zu sich genommen hatte.
Dann überflog er die Liste der sichergestellten Beweismittel und blieb bei einem bestimmten Eintrag hängen. Da war etwas, das ihm schon einmal begegnet war. Er suchte das entsprechende Foto heraus.
»O Gott!«
Er nahm den Hörer auf.
18
»Ist das Ihr erstes Kind?«, fragte Max Marisela Cruz. Sie saßen an einem Holztisch in einem Verhörzimmer des zweistöckigen Haftgebäudes hinter den Hangars. Durch das kleine, quadratische Fenster waren die Stars & Stripes zu sehen, die an einem Flaggenmast wehten, in der Ferne die Flugzeuge, die in den klaren blauen Himmel aufstiegen.
»Es este su primer bebé?« , übersetzte Pete. Er saß neben ihr und sprach mit sanfter Stimme, wie ein Vater mit seiner Tochter, ein Bollwerk zwischen ihr und dem blauäugigen Gringo-Polizisten mit dem bösen Gesicht, der ihr gegenübersaß.
»Si.« Sie nickte. Marisela war sehr blass und sehr, sehr verängstigt. Sie hatte langes, glattes schwarzes Haar, das farblich gut zu den Ringen unter ihren dunkelbraunen Augen passte, die vom Weinen und vom Schlafmangel rot waren. Sie trug verwaschene Jeans, ein dünnes graues Sweatshirt und Flip-flops. Sie hatten den
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