Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
Eldon.«
»Ein bisschen Vertrauen ins System, bitte, ja?«
»Das ist es ja gerade, Max. Das habe ich.«
Max fuhr zum Studio auf der 7th Avenue, um mit Eldon zu reden, der gerade dort trainierte.
Seit McDuffie war die Gegend dabei, sich in rasender Geschwindigkeit in eine Geisterstadt zu verwandeln. Das Geld suchte das Weite, und mit ihm das Leben und die Seele des Viertels: Die Hälfte der Geschäfte war entweder ausgebrannt oder vernagelt, auf den Wänden stand in weißer Farbe »GESCHLOSSEN – VIELEN DANK, IHR ARSCHLÖCHER«. Die Läden, die noch geöffnet waren, machten nicht allzu viel Umsatz, weil die breiten Straßen so gut wie ausgestorben waren. Die wenigen Menschen, an denen Max vorbeifuhr, waren entweder Betrunkene oder Junkies, die torkelnd und sehr langsam über den Gehweg eierten, kurz vorm Zusammenbruch, oder Einwohner, die mit gesenktem Kopf und angespannten Schultern im Laufschritt unterwegs waren, als würden sie vor einem drohenden Gewitter nach Hause eilen. Autos waren kaum zu sehen.
Max stellte seinen braunen Mustang neben den einzigen zwei Autos auf dem Parkplatz ab: Eldons Oldsmobile und Abe Watsons nagelneuem Chevy Monte Carlo.
Er ging hinein, und wie immer schärfte die Atmosphäre, die während einer Trainingssession im Studio herrschte, alle seine Sinne, und er fühlte sich unmittelbar in seine Jugend zurückversetzt, als er stets eilig und mit der Sporttasche in der Hand durch diese Tür gelaufen war, das Herz voller Ambitionen und den Kopf voller Träume.
Im Gegensatz zu den meisten Boxstudios, die in eher engen und halb baufälligen Räumen untergebracht waren, war die 7th Avenue riesig, mit hohem Runddach und großen Ventilatoren an der Decke, sodass ständig eine kühle Brise durch den Raum wehte. Gegen den Geruch jedoch, der jedem entgegenschlug, der das Studio betrat, kamen sie nicht an: die schwindelerregende Wolke aus frischem und altem Schweiß, getrocknetem Blut, Liniment, Franzbranntwein, Gummi, Antiseptika und neuem und altem Leder, gebündelt in einer Atmosphäre höchster Konzentration und wohldosierter Gewalt.
Max ging auf den wettkampfgroßen Boxring in der Mitte des Studios zu, wo Eldon gerade von Abe trainiert wurde. Eldon trug ein verwaschenes gelbes T-Shirt, Jogginghose und Boxstiefel. Er arbeitete mit den Pratzen, feuerte Jabs, Haken, Uppercuts und Crosses in Abes Hände. Verglichen mit den anderen im Raum war er langsam, aber seine Beinarbeit war noch immer gut, und seine Schläge waren hart und präzise, jeder einzelne erschütterte Abe bis in die Fußsohlen. Doch zu keinem Zeitpunkt verlor Abe das Gleichgewicht oder die Ruhe, er drehte nur gelassen die Pratzen hin und her und rief einen Schlag oder eine Kombination aus. Eldon war hochrot ihm Gesicht und schweißgebadet, das Haar klebte ihm an der Stirn, er keuchte. Bei jedem Fehler schimpfte oder fluchte er leise vor sich hin und feuerte einen Schlag in die Polster, der härter war als nötig, woraufhin Abe ihm gratulierte, dass er nun endlich zuschlage wie ein Mann.
Als der Summer ertönte, ging Eldon in seine Ecke, wo einer der Co-Trainer ihm ein Handtuch und eine Wasserflasche reichte. Abe sah Max am Ring stehen und kam zu ihm.
»Hey, Max!« Er lächelte. »Lange nicht gesehen.«
Das stimmte. Es waren neun Monate vergangen, seit sie sich zuletzt gesehen hatten. Max hatte Abe nie so nah gestanden wie Eldon, aber er kannte Abe genauso lange und fühlte sich ihm eng verbunden. Abe gehörte nicht gerade zu den offenherzigsten Menschen. Er zeigte nur selten, was er fühlte, ob positiv oder negativ. Aber einmal, als Max zum ersten Mal Golden-Gloves-Champion geworden war – gegen Alonzo Wilson, von dem alle geglaubt hatte, dass der ihn besiegen würde -, hatte Abe ihm den Arm um die Schultern gelegt, ihm gratuliert und ihm gesagt, wie stolz er auf ihn sei. Für Max hatte das sehr viel bedeutet, mehr als die zwei Nutten, die Eldon ihm zur Belohnung spendiert hatte.
»Wie läuft’s, Abe?«
»Ach, geht so. Wie immer, alles beim Alten.«
Er war ein groß gewachsener, schlanker Mann mit ergrauendem Haar und einer glänzenden, kahlen Stelle auf dem Scheitel. Sein Schnurrbart war stets sauber getrimmt. Er hatte eine unveränderliche Traurigkeit an sich, sein Gesicht hinkte widerwillig jeder Mimik hinterher, und seine Augen sahen immer so aus, als habe er gerade geweint oder sei kurz davor. Er war nicht mehr der Alte geworden, seit sein ältester Sohn Jacob 1977 an einer Überdosis Heroin gestorben war.
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