Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
Jacob, einst ein viel versprechender Basketballspieler, war im Rollstuhl aus Vietnam heimgekehrt, nachdem er sich in der Lendenwirbelsäule eine Kugel eingefangen hatte. Er hatte praktisch konstant Schmerzen gelitten, die er mit ständig steigenden Dosen Heroin von der Straße zu lindern versucht hatte.
»Irgendwelche Neulinge, die ich mir anschauen sollte?«, fragte Max.
»Ein paar.« Abe schaute sich im Studio um, wo um die zwanzig Boxer im Alter von zehn bis Anfang zwanzig trainierten. »Die Jungen, die heute zu uns kommen, die sind nicht mehr so hungrig wie früher. Dieser Alles-oder-nichts-Drive, den gibt es einfach nicht mehr. Die Jungen heute, die wollen den Sieg und den Preis, aber bis zur Ziellinie rennen wollen sie nicht. Sie wollen lieber hinfahren – am liebsten auf dem Rücksitz.«
Eldon kam zu ihnen und rieb sich das Gesicht mit einem Handtuch trocken.
»Schau mal wieder rein.« Abe verstand den Wink, verabschiedete sich mit einem Nicken von Max, schlüpfte unter den Seilen durch und ging zu einem Boxer, der an einem Sandsack Kombinationen übte.
»Was hast du?«, fragte Eldon. Sie redeten nie am Telefon über ihre Fälle, außer sie waren offiziell.
Max erzählte ihm von Octavio Grossfeld, seiner deutschen Abstammung und Lehders Sympathien für die Nazis.
»Gut, sehr gut. Das ist unser Junge. Wir müssen nur die Nazi-Geschichte noch etwas weiter aufpumpen, und schon haben wir unsere jüdischen Mitbürger auf unserer Seite. Reagan wird uns dafür lieben. Ich sehe schon die Schlagzeile: ›Drogen – der moderne Holocaust‹ .« Breit grinsend legte Eldon ihm einen Arm um die Schultern und drückte ihn an sich. Riesige Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und liefen ihm übers Gesicht, blieben am Kinn, am Kiefer und an der Nase kurz hängen wie große, durchsichtige Warzen und platschten dann auf den Boden. Sein T-Shirt war klatschnass, und er dünstete den beißenden und leicht schwefellastigen Geruch eines Mannes aus, der zu viel Protein zu sich nahm.
»Verhafte Grossfeld übermorgen früh. Und wenn es sein muss, schieb ihm ein paar Samen unter«, sagte er.
»Okay.« Max wollte gerade gehen, als er aus dem Augenwinkel etwas wahrnahm, stehenblieb und sich nach rechts drehte zu den Speedballs. Ein kleiner schwarzer Junge in grauen Jogginghosen, vielleicht acht oder neun Jahre alt, stand dort auf einem Stuhl und schlug methodisch auf einen Sack ein, erst rechts, dann links. »Wer ist das?«, fragte Max.
»Ich wollte euch gerade vorstellen.« Eldon strahlte über beide Ohren und drehte sich zu dem Jungen. »Frankie!«
Der hörte sofort auf zu schlagen, sprang vom Stuhl und kam zu ihnen gerannt. Hübscher Kleiner, dachte Max, mit schmalem Gesicht und großen Augen, die unschuldig, aber auch sehr intelligent waren, als müsste er schon jetzt seinen Verstand einsetzen, um zu überleben.
»Das ist Frankie Lafayette«, sagte Eldon, legte dem Jungen die schweißnasse Hand auf die Schulter und schüttelte ihn. »Hab ihn vor einem Monat hier aufgelesen.«
»Hast du ihm ins Gesicht geschlagen?«, fragte Max den Jungen. Frankie antwortete nicht, sondern schaute wortlos zu Eldon hoch.
»Sein Englisch ist noch nicht so gut. Abe hat ihn eines Montagmorgens hier angetroffen, er hatte im Ring geschlafen. Er war einfach reinspaziert und hat sich versteckt, bis alle weg waren.«
»Wo sind seine Eltern?«
»Wer weiß das schon? Er sagt, die sind zu Hause in Haiti. Er ist mit dem Boot rübergekommen. Illegal. Da kommen ja die ganze Zeit Boote mit Haitianern an, genau wie bei den Kubanern. Er ist ein Naturtalent. Gott weiß, was der alles erreichen kann, wie weit er es bringen wird.« Lächelnd schaute Eldon auf Frankie hinunter. Frankie erwiderte das Lächeln. »Ich denke ernsthaft darüber nach, den kleinen Scheißer zu adoptieren.«
»Was?«
»Sein rechtlicher Vormund zu werden. Er hat sonst niemanden«, sagte Eldon.
»Und was hält Lexi davon?« Lexi war Eldons Frau.
»Die ist begeistert. Du weißt ja, wir hatten keine Jungs, das wäre eine echte Abwechslung. Außerdem werden die Mädchen viel zu schnell groß. Für Lexi wäre das gut.«
Max war drauf und dran, Eldon zu fragen, was passieren würde, wenn sich herausstellte, dass Frankie gar nicht boxen wollte. Was würde er dann tun? Ihn ins Meer werfen, damit er nach Hause zurückschwamm? Aber er wollte dem Jungen nicht die Zukunft verderben oder in seiner Anwesenheit schwarzmalen, auch wenn der ihn nicht verstand. Der Junge hatte das Recht, so
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