Der Totenschmuck
Hotels und Apartmenthäuser, in denen die Leute, die die Sommergäste bedienten, gelebt hatten, bevor sie auf ein Buch mit dem einfallslosen Titel Ein interessantes Leben: Erinnerungen eines Pensionsbesitzers stieß. Bei dem Text handelte es sich um die Transkription einer mündlich erzählten Geschichte aus den 1920ern und war vor wenigen Jahren im Selbstverlag als Teil einer Serie über das Leben der Afroamerikaner in Newport erschienen. Der Leiter der Pension, ein gewisser Harold J. Johnson, hatte eine fade und unsympathische Art zu erzählen, und Sweeney musste sich förmlich durch die Berichte über »interessante« Gäste (niemand von ihnen war in Sweeneys Augen auch nur im mindesten erwähnenswert) durchkämpfen, die über die Jahre in der Pension gewohnt hatten.
Sie wollte das Exemplar schon wieder aus der Hand legen, als sie auf ein Kapitel mit der Überschrift »Ein geheimnisvoller Besucher« stieß und schließlich damit belohnt wurde, das zu finden, wonach sie die ganze Zeit gesucht hatte. »Im Dezember 1863«, berichtete Harold J. Johnson, »hat es in der Pension ein denkwürdiges Vorkommnis gegeben, das ich nie vergessen werde. Ich war gerade zu Bett gegangen, als ich hörte, wie jemand an die Haustür klopfte und eine junge Frau, die offensichtlich ein Kind erwartete, wenn auch nicht sehr bald, auf meiner Türschwelle stand und nach einem Zimmer fragte. Ich sah sie an und erkundigte mich, ob sie bei mir tatsächlich richtig sei, worauf sie sagte: »Sir, ich nehme an, Sie sprechen meine Hautfarbe an. Ich kann Ihnen nur sagen, dass dies der einzige Ort ist, zu dem ich kommen kann. Ich möchte Sie bitten, nicht zu viel Aufhebens darum zu machen.« Nun, eine weiße Frau hatte bei uns zuvor noch nie gewohnt, und ich war besorgt darüber, wie sie unsere kleine Pension finden würde. Aber sie schien ganz zufrieden und richtete
sich ein mit der Absicht, ungefähr drei Monate zu bleiben. Am dritten Tag nahm sie mich auf die Seite und fragte, ob ich ihr einen großen Gefallen tun könnte. Ob es mir möglich wäre, nicht zu verraten, dass sie hier war, sollte jemand nach ihr fragen. Sie glaubte nicht, dass dieser Fall eintreten würde, da es unwahrscheinlich war, dass jemand sie hier vermuten würde. Es war nicht notwendig, dass ich lügen musste, wofür ich äußerst dankbar war. Sie lebte drei Monate lang unbehelligt bei uns, und ihr Kind wuchs in ihr heran. In dieser ganzen Zeit hat sie uns nie den Grund für ihre Flucht genannt. Gelegentlich hat sie einen Brief abgeschickt - nach London, das habe ich einmal gesehen, als sie mich bat, ihn für sie aufzugeben -, aber sie schien sonst keinen Kontakt zu anderen zu haben, abgesehen von den Briefen. Schließlich, im dritten Monat ihres Aufenthalts, hörte eines der Zimmermädchen, wie sie in ihrem Zimmer schrie und ging nachsehen, was ihr fehlte. Die Wehen hatten eingesetzt und sie fragte, ob sie einen Arzt holen solle. Aber die Dame sagte, sie wolle keinen Arzt. Ich habe meine Frau zu ihr geschickt, die Erfahrung mit Geburten hatte, und sie half der Dame, ihr gesundes Kind zur Welt zu bringen, einen Sohn. Sie blieb zwei weitere Wochen bei uns, in denen sie die Pension kaum verließ, und wir gewannen den kleinen Jungen richtig lieb. Sie nannte ihn Eddie. Ich werde dieses denkwürdige Vorkommnis in der Geschichte der Johnson’s Pension nie vergessen. Ich habe die Dame nie nach ihrem Namen gefragt, aber als sie uns verließ, erzählte ich ihr, dass ich sie und ihren kleinen Sohn in Erinnerung behalten wollte, und ich werde nie vergessen, was sie mir antwortete: »Nennen Sie mich Hatty Hope.« Und so habe ich mich stets an sie erinnert.«
Sweeney sank in ihren Stuhl zurück. Ihr Herz pochte und ihr war plötzlich mulmig geworden. Das hatte sie die ganze Zeit zu finden gehofft - den Beweis, dass Belinda Putnam im Winter 1863 nach Newport gekommen war und genau das Täuschungsmanöver
durchgeführt hatte, das Sweeney vermutet hatte.
Die Briefe nach London bestätigten ebenfalls Sweeneys Annahme. Belinda musste ihrer Familie erzählt haben, dass sie für die Entbindung nach London ging, war aber stattdessen nach Newport gegangen, weil sie die Stadt gut kannte. Sie hatte ihre Briefe nach London an jemanden, den sie kannte, geschickt, der sie wiederum an ihre Familie in Boston gesendet hatte, und niemand ist ihr auf die Schliche gekommen.
Sie musste einen Brief im Dezember geschrieben haben, in dem sie die Geburt ihres Kindes bekannt gegeben hatte. Aber wie hatte
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