Der Totenschmuck
bewusstlos am Straßenrand liegen sah. Er rief von seinem Handy den Notarzt, und das Unfallopfer wurde mit Platzwunden im Gesicht und mit Fleischwunden in das Krankenhaus von Newport gebracht. Laut Quellenangaben wird die Polizei sie heute befragen.«
Sweeney versuchte, sich den Ocean Drive bei Nacht vorzustellen. Der Seitenstreifen war schmal und die Beleuchtung schlecht; es war sehr gefährlich, dort ohne Weste mit Reflektoren oder ohne Taschenlampe entlangzugehen. Sweeney war bei den Putnams gewesen. Dort gab es eine große Wiese zum Spazierengehen. Was hatte Melissa nach neun Uhr auf dem Ocean Drive verloren?
Sie duschte sich so gut es ging mit Annas spartanischen Duschbeständen, bestehend aus einer alten Flasche Pert-Shampoo und einem schmalen Stück Elfenbeinseife, und schlüpfte in ein rot gepunktetes leichtes Sommerkleid, das sie in einem Secondhand-Laden gefunden hatte, zog eine weiße Strickjacke über, dazu Sandalen und ging die Bellevue Avenue Richtung Altstadt hinunter.
Es war ein strahlend sonniger Tag, einer dieser frühen Frühlingsmorgen, wenn die Sonnenseite der Straße schon warm und die Schattenseite noch kühl ist. Sweeney war froh, an der Luft zu sein, und die Sonne und Annas starker Kaffee ließen
den Tag viel versprechend und erfolgreich erscheinen. Sie ahnte, dass die Lösung des Geheimnisses irgendwo in Newport zu finden war, irgendwann im Winter 1863. Und sie würde das ganz genau in Erfahrung bringen.
Die Historische Gesellschaft von Newport lag in der Touro Street, in der Altstadt direkt im Anschluss an die Bellevue Avenue. Im Innern war es schäbig, es gab ein paar Büros für die Angestellten der Gesellschaft und eine kleine Gemäldesammlung, die verschiedene wichtige Einwohner Newports zeigte. Hier kamen normalerweise keine Besucher her, und Sweeney war beeindruckt, wie sehr das funktionelle Interieur mit der Rolle kontrastierte, die die Historische Gesellschaft in der Öffentlichkeit spielte - mit ihren prächtigen Häusern in der Bellevue Avenue und ihrem Sitz in einem Gebäude mit patrizischer Fassade.
Sie stellte sich der gequält dreinblickenden Dame hinter dem Tresen vor und fragte, ob es jemanden gab, der auf die Geschichte von Newport Mitte des neunzehnten Jahrhunderts spezialisiert war. »Ich bin auf der Suche nach Informationen über eine Frau namens Belinda Putnam - mit Mädchennamen hieß sie Belinda Cogswell -, die 1863 den Winter in Newport verbracht hat. Ich weiß nicht, in welcher Form oder wo ich dazu etwas finden könnte, vielleicht gibt es einen Hinweis in einem Brief oder Ähnliches. Sie war nicht von hier, aber ich denke, dass ihre Familie möglicherweise um 1850 herum in die Sommerfrische nach Newport gefahren ist. Ich suche nach irgendeinem Beleg dafür, dass sie außerhalb der Saison hierhergekommen ist.«
»Oh, dann ist es George, den Sie brauchen«, antwortete die Dame. »Warten Sie einen Moment.« Sie verschwand und kehrte kurz darauf mit einem Mann in den mittleren Jahren, bekleidet mit einer Bermuda-Shorts und einem »Newport Mansions« T-Shirt, zurück. Er musterte sie schüchtern, während Sweeney ihr Anliegen erläuterte.
»Das ist interessant, wissen Sie«, sagte der Mann. »Wie
Newport sich als Reiseziel für die Sommerfrische etabliert hat. Die Blütezeit war Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, vor der Besetzung durch die Briten während des Unabhängigkeitskrieges. Nach dem Krieg mussten wir natürlich eine schwere Zeit durchstehen, aber unsere zweite Blütezeit hatten wir als Erholungsort im Sommer. Bei den Wohlhabenden war es zur Tradition geworden, dass sie mit der gesamten Familie die Sommermonate bei uns verbrachten. Die Luft war weitaus gesünder und die Gegend war ihnen bereits geläufig, weil sie wegen der Sklavenmärkte hierherkamen. Aber die Oststaatler kamen erst ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Unser erstes Hotel wurde 1820 errichtet, weitere folgten um 1840 herum. In der Zeit wurde Newport auch für die Bostoner Intellektuellen interessant.«
»Zu dem Zeitpunkt müsste auch Belinda Cogswells Familie hergekommen sein«, sagte Sweeney.
»Nun, lassen Sie mich mal sehen. Es gibt ein Register mit einigen der Materialien, die wir haben, aber ich weiß nicht, ob wir damit weiterkommen.« Er trat vor einen nagelneuen Macintosh auf dem Schreibtisch und begann zu tippen.
»Also, wir haben jede Menge Verweise auf die Putnams. Warten Sie… B… B. Belinda. Ich habe hier einen Eintrag, der sieht jedoch nicht sehr viel versprechend
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