Der Totenschmuck
sie das tun können, ohne zu wissen, ob es ein Mädchen oder ein Junge war? Hatte sie gewusst, dass es ein Junge war? Es gab Geschichten von alten Frauen, in denen das behauptet wurde. Je nachdem, wie die Schwangerschaft verlief oder wie hungrig die Mutter war, bekam sie ein Mädchen oder einen Jungen. Das war zwar gewagt gewesen, aber die Alternative war weitaus schlimmer, und die Mütter hatten in ihrer Verzweiflung noch viel verrücktere Dinge getan, dachte Sweeney.
Wenn jemand bei Belindas Rückkehr gefunden hatte, dass das Baby jünger aussah, als es sollte, dann waren die Leute trotzdem bereit gewesen, darüber hinwegzusehen und ihre Geschichte zu glauben.
Immer noch erschüttert stellte Sweeney die Bücher wieder zurück und trug den Bücherstapel, den George ihr gegeben hatte, in sein Büro.
Er stand über die herausziehbare Schublade des Aktenschranks gebeugt, blätterte die Hängeregister durch, und als Sweeney sagte: »Haben Sie vielen Dank«, richtete er sich so abrupt auf, dass er sich den Kopf an der obersten Schublade stieß. Die Register, die er darauf abgelegt hatte, fielen auf die Erde.
»Oh!«
»Entschuldigung«, sagte sie. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
»Nein, nein. Legen Sie sie einfach auf den Tisch. Sind Sie fündig geworden?«
»Nicht wirklich«, sagte Sweeney schuldbewusst. »Ich bin zwar auf ein paar interessante Dinge gestoßen, aber das, wonach ich suche, war nicht dabei.«
»Nun«, sagte er und rieb sich den Kopf, »ich habe mir die Freiheit genommen und bin unser Friedhofsregister durchgegangen. Vor einigen Jahren haben wir die Genehmigung erhalten, jede Bestattung auf den Friedhöfen innerhalb Newports zu katalogisieren. Die Daten sind noch nicht in den Computer eingegeben worden, aber wir haben ein gutes Kartenregister, in dem ich einen Eintrag für Belinda Cogswell gefunden habe. 1840 -1925. Das ist sie doch, oder?«
»Ja, das muss sie sein. Herzlichen Dank!« Sweeney konnte ihr Glück kaum fassen. Er reichte ihr die Karte, und sie notierte sich den Friedhof, den Island Cemetery, den sie gut kannte, und übertrug auch das kleine Raster, das jemand auf die Karte fotokopiert hatte, sowie das Sternchen, das angab, wo der Grabstein zu finden war. »Sie können sich nicht vorstellen, wie hilfreich das für mich ist. Ich hatte mir schon vorgenommen, auf jedem Friedhof von hier bis Boston danach zu suchen.«
»Kein Problem«, sagte er. »Der Name Putnam ist der von den Putnams, stimmt’s?« Sweeney nickte. »Ich habe gerade von der Fahrerflucht gehört. Die arme Familie. Als wären sie nicht schon genug gestraft, oder?«
»Ja. Nun, vielen Dank. Ich werde gleich hingehen und sehen, ob ich das Grab finden kann.«
Er zwinkerte ihr zu. Die Beule an seiner Stirn wurde langsam größer. »Sie können uns gerne noch einmal besuchen«, sagte er schüchtern. »Wann immer Sie mögen.«
Sie war seit Jahren nicht mehr auf dem Island Cemetery gewesen - er war der größte Friedhof der Insel und der Großteil der Einwohner fand hier seine letzte Ruhestatt - und sie war überrascht, wie nahe die Wohngebiete an ihn herangerückt waren. Es sah aus, als ob der Friedhof von den kleinen Häusern drum herum erdrückt werden würde. Das ganze Viertel unterschied sich sehr vom anderen Ende der Stadt. Sweeney war gute zwanzig Minuten unterwegs, und als sie am Ziel war, war sie durchgeschwitzt. Sie setzte sich auf eine Bank direkt hinter dem Eingangstor und blickte über die steinerne Stadt.
Der Friedhof war sehr gepflegt, mit Rosen- und Funkienbeeten neben dem Eingang und kurz gemähtem Rasen um die Steine herum. Es gab sowohl viele moderne als auch ältere Steine, oft lag ein welker Blumenstrauß davor.
Sie konsultierte die kleine Skizze und zählte die Steine ab, während sie die richtige Reihe herunter ging. Es war ein weißer Marmorstein, der im Laufe des Jahres etwas fleckig geworden war, aber immer noch hell in der Nachmittagssonne strahlte. Ein schlanker Quader mit einer einfachen Rosengirlande am oberen Rand. Die Inschrift lautete schlicht »Belinda Cogswell Putnam. 1840-1925.« Dass sie die Frau von Charles Putnam oder die Mutter von Edmund Putnam gewesen war, wurde nicht erwähnt, und irgendwie spürte Sweeney, dass das gerade so sein sollte, bei diesem unprätentiösen, schönen Stein.
Unter ihrem Namen und den Lebensdaten las sie das Epitaph »Seinem Nächsten zu helfen, ist wahrhaft göttlich«.
Mit diesem schlichten Stein hatte Belinda Putnam sich selbst in den Tod
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