Der Totenschmuck
tragen?«
»Natürlich.«
»Denkst du nicht, ich bin overdressed?«
Anna rollte die Augen. »Sweeney, ich weiß es wirklich nicht.«
Sweeney inspizierte bei dem schwachen Licht ihre Poren im Spiegel. »Herrje, wieso gehe ich überhaupt dahin? Eigentlich will ich das gar nicht. Es wird schrecklich.«
»Nein, bestimmt nicht. Es wird nett. Du solltest etwas rauskommen und dich unter die Leute mischen. Das hat Mutter immer zu mir gesagt, du sollst dich unter Leute mischen. Ich habe mir dann immer eine Handvoll Leute vorgestellt, die in einem Mixer miteinander vermischt werden. Sie wusste nie, was sie mit mir anstellen sollte. Das Einzige, was ich wollte, war malen.«
»Arme Oma und armer Opa. Mussten mit zwei verrückten Künstlern enden.«
»Ich weiß. Ich denke, dass ich deswegen sofort gewillt war, für Juli so lange auf meine Arbeit zu verzichten. Ich habe immer gefunden, ich habe die beiden hängen lassen. Und Paul hat noch seinen Segen bekommen, als er sie im Stich gelassen hat, weil er älter war. Aber ich durfte das nicht.« Sweeney hörte die Bitterkeit in Annas Stimme. Sie schwieg.
Anna zog ein großes rosafarbenes Kleid hervor und hielt es sich an.
»Oh Gott, sieh dir das an«, rief sie. »Das muss eines von Mutters Umstandskleidern sein. Stell dir vor. Früher mussten die Frauen solche furchtbaren Ungetüme tragen.« Das Kleid war aus hellrosa Stoff und hatte einen Peter-Pan-Kragen, bestickt mit kleinen rosafarbenen Blüten.
Sweeney musterte Anna und fragte: »Wie kommt es, dass du und Onkel Juli keine Kinder habt?«
Anna faltete das Kleid in der Mitte und legte es auf ein altes Bett.
»Ich habe nie wirklich herausgefunden, warum. Mit einem von uns hat irgendwas nicht gestimmt, aber wir haben nie erfahren, mit wem. Damals ist man damit nicht zu einem Arzt gegangen, so wie heute. Ich habe mich immer gefragt, ob es an mir lag, ob ich mich psychisch irgendwie geweigert habe, schwanger zu werden und ob ich in einem Zwiespalt war. Bei unserem Lebensstil wäre das auch alles sehr schwierig gewesen. Ich glaube nicht, dass Onkel Juli samstagabends gerne zu Hause geblieben wäre, wenn wir keinen Babysitter gefunden hätten, oder die ganze Geschichte mit dem Stillen, du weißt schon. Die Idee an sich hat ihm zwar gefallen, aber in der Realität wäre es ein Schock für ihn gewesen.«
»Hat er jemals … mit …?«
»Mit Stella? Nein. Vielleicht lag es tatsächlich an ihm.«
Sweeney blickte in Annas Gesicht. »Denkst du manchmal daran? Jetzt?«
»Manchmal. Nicht oft. Aber es war hart. Die Leute haben dich gefragt, weißt du, und es ist erstaunlich, wie taktlos sie werden konnten. ›Wann werden Sie denn ein Baby bekommen? Wollen Sie keine Kinder?‹ Solche Fragen. Ich erinnere mich, dass es eine Zeit lang sehr schwer war, unsere Freunde zu treffen, die Kinder hatten. Ich habe andere auf der Straße mit Kinderwägen gesehen und gedacht: ›Wenn jede Idiotin schwanger werden kann, warum ich nicht?‹« Anna schloss die Tür der Kleiderkammer und deutete Sweeney mit einer Geste, sich umzudrehen, damit sie den Reißverschluss aufmachen konnte.
Sweeney schlüpfte aus dem Kleid und zog ihre eigenen Sachen wieder an.
Anna griff nach der Kordel, um das Licht auszumachen. »Aber am Ende war auch alles gut, nicht wahr?«, sagte sie. »So wie die Dinge sich entwickelten.«
Zusammen stiegen sie die Treppe hinunter.
Dreiundvierzig
Es begann gerade zu dämmern, als sie in die Auffahrt zu dem Anwesen der Putnams bog, und bei dem schwachen frühlingshaften Abendschimmer konnte sie die Schönheit des Hauses besser würdigen als bei ihrem letzten Besuch. Der Dachfirst zeichnete sich an dem bläulichgelben Himmel ab und lenkte den Blick auf die sich brechenden Wellen im Hintergrund. Der Rasen fiel steil zum Ufer ab. Sweeney wurde schwindelig, als wäre sie zu schnell aufgestanden.
Ihr Klopfen an der Haustür war geradezu lächerlich leise, aber erst beim dritten Mal klopfte sie lauter, so dass ihre Fingerknöchel schmerzten, als sie auf das harte Holz trafen. In der anderen Hand hielt sie einen Tulpenstrauß, den Anna und sie gepflückt und in feuchte Papiertücher und Alufolie gewickelt hatten. Gebügelt und nach dem Lavendelwasser duftend, das Anna in einem Schrank gefunden hatte, fühlte sich das Seidenkleid geschmeidig und kühl auf ihrer Haut an.
Als immer noch niemand öffnete, ging sie um das Haus herum. Wie bei vielen Häusern in Newport gehörte mehr Rasen als Garten zu dem Grundstück, und sie ging auf
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