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Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Titel: Der Totenwächter - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ich sei auf einem Geisterschiff. Seit heute morgen ist hier alles ganz anders.« Er lächelte gereizt zu dem Kellner herüber, der sich an einigen Gläsern zu schaffen machte und tat, als habe er die laustarke Begrüßung des Nilschiffes nicht wahrgenommen. Brad hob die Kamera hoch, schaltete sie ein und fotografierte. Der Kellner bleckte seine Zähne. Er schien es gewohnt zu sein. Brad rutschte hinter dem Tisch vor, stand auf, ging zum Fenster und machte weitere Aufnahmen. Theatralisch drehte er sich zu Linda und Grace hin. »Ich liiiiebe den Nil!«
    »Was soll das?«, fragte Grace verdutzt.
    Brad trank sein Bier aus. »Kommt mit. In meine Kabine. Ich möchte die Aufnahmen sehen.«
    Erneut blickte Grace fragend.
    Linda tätschelte ihr den Arm. »Er meint, es sei sinnvoll, wenn wir uns einige Bilder betrachten. So etwas inspiriert. Vergesse nicht, dass deine Mom hier ist, um einen wunderbaren Bericht zu schreiben.«
    »Und was ist mit ... denen?«, nickte Grace zum Fenster hin.
    »Darum kümmern wir uns, wenn es soweit ist.«
    Grace kniff ihre Augen zusammen. Sie kannte ihre Mutter. Und sie spürte, dass es hier um mehr ging, als darum, Urlaubsfotos zu betrachten. Sie fragte nicht weiter nach. »Ich gehe noch mal schnell auf die Toilette. Geht schon mal vor. Ich komme nach.«
    »Auf die Toilette?«
    »Aber Mom ... so etwas Besonderes ist das nun auch wieder nicht«, sagte Grace entrüstet. Sie wies zu einer Tür hin auf der ein Damen-Emblem klebte. »Was ist denn dabei? Ist doch besser, als wenn ich die kleine Kabine verpeste, während wir alle da drin sind, oder?« Sie grinste breit und mit glühenden Wangen.
    »Sollen wir nicht warten?«
    »Geht ruhig schon vor.«
    »In Ordnung«, sagte Brad und blinzelte Linda zu. »Dann kommst du nach. Du weißt ja, wo ich wohne.«
    »Aber klar doch«, strahlte Grace. »Möchtest du dein Riesenhemd wiederhaben?«
    Brad winkte ab und tätschelte sich auf den Bauch. »Mir ist warm.«
    Linda stand ebenfalls auf. Sie legte Grace ihre Hand auf die Schulter. »Aber komm sofort nach, ja?«
    Grace zog ihre Brauen zusammen. Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. »Okay, Mom«, nickte Grace ernsthaft. »Ich bin ja auch neugierig, was Brad bisher fotografiert hat. Du weißt, ich mag seine Fotos!«
    Linda folgte Brad, der an der Bar wartete. Noch einmal blickte sie zurück zu Grace. Ein ungutes Gefühl strich über ihre Wirbelsäule wie ein eisiger Finger.
     
     
     

11
     
     
    Brads Kabine war das genaue Ebenbild ihrer eigenen. Abgesehen davon, dass sie eine Etage tiefer lag und Brad, wenn er gewollt hätte, das Nilwasser mit den Händen hätte schöpfen können.
    Man merkte Brad an, dass er sein Geschäft verstand. In wenigen Minuten öffnete sich die Benutzeroberfläche des Laptops. »Gut, dass wir heutzutage Bilder digital bearbeiten können. Wenn ich mich an frühere Zeiten erinnere.« Er schüttelte den Kopf. »Chemikalien, Grünlicht, Projektoren, Entwicklungstrommeln und dieser ganze Kram.«
    »Steinzeit«, lächelte Linda.
    »Daten werden übertragen«, murmelte Brad.
    Linda zog sich den Stuhl heran. Sie starrten beide auf den Monitor. Endlich war es so weit. »Wunderbar, deine Kamera. Die Qualität ist makellos.« Brad war zufrieden. Tatsächlich waren nun Details zu erkennen. Grace saß am Tisch im Speisesaal und lachte in die Kamera.
    Linda stand auf und zog die Vorhänge vor das Fenster. Brad nickte dankbar. »So ist es noch besser. Sieh nur ...«
    Wieder ein Foto, welches Grace zeigte. Diesmal lehnte sie auf einer Horusstatue am Eingang des Tempels von Abu Simbel.
    Wieder ein Beweis, wie sehr sie Bernard ähnelt. Dasselbe freundliche Lächeln!
    Linda war von der Bildqualität begeistert und hätte um Haaresbreite vergessen, warum sie überhaupt diese Aktion gestartet hatten. Sie war dabei, sich wieder in Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann zu verlieren.
    Das Bild fiel in sich zusammen und Brad öffnete ein neues Fenster. »Die Bar«, flüsterte Linda.
    »Das hast du gestern Abend fotografiert, nicht wahr?«
    »Ja, kurz bevor wir dieses kleine Theaterstück improvisiert haben.«
    »Wo sind die anderen Reisenden?«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich sehe niemanden.« Brad klickte erneut. Wieder ein Foto, das Linda in der Bar aufgenommen hatte. Es zeigte die Bühne. »Hast du immer dann fotografiert, wenn gerade niemand im Raum war?«
    »Unsinn!«, begehrte Linda auf. Was bedeutete das?
    Das nächste Bild: Unbesetzte

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