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Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Titel: Der Totenwächter - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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angewurzelt in der Kabine und glotzte wie ein dummes Schaf.
    Brad, dem zweifellos aufgefallen war, dass mit ihr etwas nicht stimmte, trat einen, dann noch einen Schritt auf sie zu. Seine Hände legten sich auf ihre Schultern. Gott sei Dank war er weg vom Fenster.
    Wieder versuchte Linda, Worte zu formen, doch es kam nicht viel mehr als ein unartikuliertes Stöhnen über ihre Lippen. Zum ersten Mal in ihrem Leben erkannte sie, was es bedeutete, vor Angst wie versteinert zu sein!
    Dieser Zustand besserte sich nicht, als sie begriff, was nun geschah. Wieder war da die goldene Maske mit den schwarzen Augen. Nur diesmal war kein schützendes Glas zwischen ihnen. Das Wesen schwebte tatsächlich und diesmal brauchte es nur die unter dem weißen Gewand steckenden Beine anheben und sich auf der Fensterbank abstützen. Es hockte dort wie ein Geistervogel auf einer Stange. Die Maske wackelte, als könne der Schädel dahinter das Gewicht kaum halten. Die kralligen grauen Hände mit den bunt facettierten Ringen an den schmalen Fingern hielten sich am Fensterrahmen fest.
    Linda glotzte an Brad vorbei. Sollte es so enden? Würde sie tatsächlich ächzend und schweigend mit ansehen, wie dieses ES sie überwältigte?
    »Ich glaube dir, Linda! Es fällt mir nicht leicht, aber ich glaube dir tatsächlich. Wir sollten etwas unternehmen. Am besten gehen wir in die Bar, genehmigen uns etwas Kühles und überlegen uns, was wir nun tun.«
    Und wenn ich dir nicht begreiflich machen kann, was sich hinter dir abspielt, wird etwas Grauenvolles geschehen!
    »Mein Gott - du frierst ja.« Er trat auf sie zu und legte seine Arme um sie. Er drückte sie an sich. Es war das erste Mal seit fünf Jahren, dass ein Mann sie in den Armen hielt. Vermutlich hätte sie dieses Gefühl zu einem anderen Zeitpunkt genossen. Sie fand Brad - ziemlich nett. Aber nun hatte er sich wirklich den falschesten aller falschen Augenblicke ausgesucht.
    »Brad«, krächzte sie. Ihre Zunge war ein dicker Schlauch und ihre Kehle fühlte sich rissig an.
    Ich stehe unter Schock! Meine Nerven schmoren durch.
    »Ja, Linda?«
    »Brad ...«
    Filigran wie eine Feder sprang das Maskenwesen von der Fensterbank. Seine in goldenen Sandalen steckenden Füße berührten den Boden der Kabine nicht. Auf den glänzenden Ringen, die es um die Fußgelenke trug, spiegelte sich die Sonne. Es richtete sich auf. Es war mehr als zwei Meter hoch und berührte fast die Decke. Wie schon vor einer Stunde, meinte Linda die hohle Mundöffnung grinsen zu sehen. Schrecklich war, dass all dies so unvorstellbar geräuschlos geschah. Fast, als träume sie, während Brad sie in seinen Armen hielt.
    »Brad ...« Warum war sie so verdammt gelähmt? Hilflose Wut quoll in ihr hoch wie Sodbrennen. »Brad ...«
    Er drückte seine Lippen an ihr Ohr.
    Er würde sie küssen. Er würde sie küssen, währenddessen dieses Wesen hinter ihm stand, sich ihm mehr und mehr näherte.
    »Ich weiß, Linda. Ich weiß Bescheid«, murmelte er tonlos. »Erschrecke dich nicht.«
    Mit einem Ruck stieß er sie von sich. Sie taumelte rückwärts, rutschte mit dem Rücken an der Kabinentür runter und sackte auf dem flauschigen Teppichboden zusammen.
    Brad wirbelte herum. Für einen winzigen Moment schien es, als erstarre auch er. Mit staksigen Schritten machte er einen Ausfall um das Bett herum. Er griff sich eine auf einem Regal stehende ägyptische Vase und schleuderte sie dem Maskenwesen entgegen.
    Dieses schwebte wie in Zeitlupe zum Fenster zurück. Die Vase krachte durch das Wesen hindurch an die gegenüberliegende Wand. Das Scheppern des zersplitternden Glases machte ein so helles Geräusch, dass Linda aus ihrer Benommenheit hochfuhr.
    Da war es wieder, dieses verwischende Licht, das sie schon einmal gesehen hatte. Vor wenigen Stunden, in der Grabkammer. Das Wesen verwehte wie eine Wolke, setzte sich neu zusammen und verwehte erneut. Es verlor seine Konsistenz.
    Brad sprang vor. Er brüllte unterdrückt und versuchte, nach dem zu greifen, was ihn soeben noch bedroht hatte. Seine Finger wischten durch den zirrenden Nebel und er hatte große Probleme, in der kleinen Kabine nicht zu stürzen.
    War das Wesen gerade noch vor dem Fenster gewesen, wehte es nun unter der Kabinendecke entlang, sank zwischen Linda und Brad zu Boden und materialisierte sich. Das alles dauerte keine zwei Sekunden.
    Linda traute ihren Augen nicht. Es war zurückgekehrt und hatte wieder seine Form angenommen. Hinter der goldenen Maske pumpte heftiger Atem. »Du

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