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Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Titel: Der Totenwächter - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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Sessel, eine leere Tanzfläche, ein verwaister Platz hinter dem Tresen. Ein nächstes Foto: Der Speisesaal. Eine Frontalaufnahme vom Esstisch. Grace führte eine Gabel zum Mund. Brad lehnte grinsend auf dem Ellenbogen. An sich nichts Besonderes. Wenn nicht ...
    »Wir sitzen für gewöhnlich mit drei anderen Personen am Tisch. Wo sind die?«, fragte Linda.
    »Noch nicht da? Später gekommen?«
    »Quatsch! Als ich das Foto machte, waren alle beisammen. Das weiß ich ganz genau!«
    »Jetzt - wo du es sagst ... ja, ich erinnere mich.« Brad lächelte gequält. Er suchte ein weiteres Bild aus. Es zeigte Grace im Reisebus. Sie hatte den Kopf auf die Seitenlehne gelegt und lag in verknoteter Pose quer auf dem Sitz. Ein typisches Urlaubsfoto. Albernheit und gute Laune. Dahinter eine ganze Reihe weitere Bussitze. Sie alle waren leer.
    »Das gibt es nicht.« Linda wollte ihren Augen nicht glauben. »Als ich das Foto machte, waren wir unterwegs zum Tal der Könige. Und nun sieht es so aus, als wären Grace und ich alleine im Bus gewesen.«
    Brad schwieg. Seine Finger tanzten über die Tastatur. Er hatte seine Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt.
    »Hast du die Bilder nicht direkt kontrolliert?«, fragte er.
    »Das mache ich schon längst nicht mehr. Ist was für Anfänger. Ich jage meine Bilder durch ein Bildbearbeitungsprogramm und erst dabei schaue ich sie mir intensiv an. Gut, vielleicht habe ich mal eines überprüft … Außerdem war immer alles in Ordnung, wenn ich durch den Sucher geblickt habe.«
    Ein neues Bild. Brad hantierte am Trackball herum, klickte hier und dort. Das Foto zeigte eine Gesamtansicht des Speisesaals. Diesmal handelte es sich um das Frühstück. Man konnte sehr gut das Büffet sehen. Ansonsten war der Raum menschenleer. Nein - nicht ganz ...
    Brad betätigte zwei Tasten und vergrößerte einen Ausschnitt. »Da ist doch noch jemand. Erkennst du ihn?« Er sah Linda an. »Unser Kapitän! Er steht da, als überwache er das Frühstück. Ich frage mich, warum. Es ist wieder einmal niemand sonst im Saal.«
    Linda schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, sodass das Notebook tanzte. »Ich bin doch nicht bescheuert!«, schnappte sie. »Als ich dieses Foto machte, waren Trubel und Jubel im Speiseraum! Ich erinnere mich genau daran! An ihn erinnere ich mich nicht. Wie auch - es wimmelte vor Menschen.« Der Fingernagel ihres Zeigefingers tippte hart gegen das Bild, gegen den Kapitän.
    »Menschen ...«, murmelte Brad hinter zusammengekniffenen Lippen hervor.
    »Wie meinst du das?«
    »Warte.« Er manipulierte das Foto erneut. Immer, wenn ein neuer Streifen über das Bild lief, veränderte es sein Aussehen. Viermal, fünfmal geschah das und nun war es offensichtlich. Es war auch etwas anderes im Raum. Silhouetten. Zwar waren Kapitän, Möbel und Büffet zwischenzeitig so sehr überkonturiert, dass man sie kaum noch erkennen konnte, dafür gewannen die anderen Gäste an Gestalt. »Siehst du diese Ränder?«
    Es schauderte Linda. Stumm nickte sie. Es sah aus, als habe man Personen fotografiert, die aus milchigem Nebel bestanden. Die Gestalten waren nur entfernt mit denen von Menschen zu vergleichen, ähnelten vielmehr dem von einem Feuer aufsteigenden Rauch. Zwanzig, dreißig unterschiedlich platzierte Rauchsäulen im Speisesaal. Und hinten rechts in der Ecke ein durchaus menschlicher Kapitän, der die Szenerie betrachtete.
    Brad klopfte einen Befehl in die Tastatur und der integrierte Drucker surrte. Nach wenigen Sekunden fiel an der Seite das entwickelte Foto heraus. Mit spitzen Fingern nahm Linda es auf. Sie betrachtete es von allen Seiten. Schweiß tropfte ihr über die Nase. Obwohl es draußen erst früher Nachmittag war und die Sonne schien, wirkte die Dämmerung in der Kabine unheimlich.
    Brad beendete das Programm und startete es neu auf. »Vielleicht haben wir es hier mit einem Fehler zu tun.«
    »Wieso?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Computer sind auch nur Menschen.« Er bleckte die Zähne. Auch auf seiner Stirn stand Schweiß.
    Er machte einige weitere Versuche. Das Ergebnis war immer dasselbe. Wenn Linda Mitreisende fotografiert hatte, waren lediglich Rauchsäulen zu sehen. Die einzige Ausnahme bildete zwei, dreimal der Kapitän. Er war ebenso deutlich zu erkennen wie Grace oder Brad.
    »Warte!« Brad schnellte hoch und nahm seine eigene Kamera aus dem verschließbaren Metallkoffer. In wenigen Sekunden hatte er sich eingeklinkt.
    »Sind das die Fotos, die du in den Tempelanlagen gemacht

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