Der Totenwächter - Roman (German Edition)
und doch machte es den Eindruck, als kommuniziere sie mit ihren Artgenossen. Währenddessen starrte der Alte Linda unverdrossen an. Einmal sah es so aus, als nicke er aufmunternd.
Es würde nur noch eine Frage von Sekunden sein, und vierzig Geister würden ihnen den Weg versperren, sie umringen, sie einkreisen. Sie waren entdeckt worden, weil sie nicht mit der völligen Lautlosigkeit der Jünger gerechnet hatten. Dies war ein Fehler gewesen.
Linda wusste nicht, was die Geister mit ihnen anstellen würden. Sie konnte und wollte jetzt kein Risiko eingehen. Sie musste zu Grace. Und sie hoffte, dass ihre Tochter tatsächlich in die Grabkammer entführt worden war und nicht an einen anderen, ihr unbekannten Ort.
Kein Risiko!
Es wird Zeit, dass ich mich auf meine weibliche Intuition verlasse!
»Verschwinden wir endlich«, sagte sie und machte sich auf den Weg zurück. Aber wo sollten sie hin? Das Schiff war auf dem Nil unterwegs. Es entfernte sich mehr und mehr von ihrem Ziel. Sie waren Gefangene. Sie ließ das Paar einfach stehen. Brad und Akbar folgten ihr. Nun achtete sie nicht mehr darauf, ob man sie entdeckte. Das war geschehen. Also nach oben. An Deck. Nur so konnten sie die Lage sondieren. Nur von dort gab es einen Weg zurück. Sie vermutete, dass man sie verfolgte. Sie wollte es nicht wissen. Wie von Furien gehetzt, nahm sie zwei, drei Stufen auf einmal die Treppe hinauf. Durch die Rezeption, durch die Bar, hinaus in den milden Abend. Sie rannte so schnell, dass sie gegen die Reling prallte. Sie schleuderte herum. Akbar huschte an ihr vorbei. Brad folgte.
Hinterher! Rings um den Pool standen die Liegestühle. Sie waren verwaist. Man hatte sie ihrer Handtücher beraubt.
Sie sammelten sich am Bug. Von hier aus hatten sie den besten Ausblick.
»Verdammt noch mal«, keuchte Brad. Er wies zum Ufer.
Sie befanden sich mitten auf dem Fluss. Das Pier lag mindestens eine Meile hinter ihnen und mit jeder Sekunde entfernten sie sich weiter. Noch waren sie alleine an Deck. Niemand schien sie zu verfolgen.
»Wir könnten auf die Brücke und versuchen, das Schiff wieder in unsere Gewalt zu bringen«, schlug Akbar vor. Noch immer glitzerte es tückisch in seinen Augen. Man hatte ihm sein Schiff genommen. In diesen Minuten hätte er sich auch mit einer ganzen Heerschar Geister angelegt. »Was können diese ... diese Jünger?« Er spie das Wort regelrecht aus. »... uns schon anhaben, he? Allah schützt uns! Er ist bei uns!« Er fiel in die arabische Sprache.
Sie strömten aus der Bar. Ältere und junge Menschen, die keine Menschen waren. Sie alle trugen noch ihre Badekleidung. Sie starrten gierig zu ihnen hin. Ihre Münder lächelten freundlich. Vor ihnen weg schritt der ältere Mann und seine Frau. Es sah aus, als führe er die Gruppe an.
Es sind keine Menschen! Es sind Geister! JÜNGER VON MAMOTHMA! Auch wenn es völlig absurd erscheint, ist es so. Sie wirken freundlich. Sie wollen uns einlullen. Sie wollen uns in Sicherheit wiegen. Aber sie sind SEINE JÜNGER! Aber vielleicht haben wir tatsächlich nichts vor ihnen zu befürchten. Vielleicht sind sie zufrieden, weil es ihnen gelang, Grace in ihre Gewalt zu bekommen? Ist dies die einzige Aufgabe, die Mamothma ihnen zugedacht hat?
Die Bewegungen der Geister änderten sich und straften Lindas optimistische Vermutungen Lügen.
»Ihr bleibt hier!«, rief der alte Mann und sein Finger schoss vor. Die hinter ihm verharrenden Geister murmelten beifällig. »Wir werden Euch nicht von diesem Schiff lassen. Wenn Sephrete wieder in den Armen des Meisters liegt - wenn die Zeremonie beendet ist, ist der Weg frei für Euch.« Der Alte machte noch einen Schritt auf sie zu.
Linda, Brad und Akbar drängten sich mit dem Rücken an die Reling. Die Karnak Cream rauschte mit zunehmender Geschwindigkeit durch das Wasser.
Der Alte grinste. Es war eine Mischung aus Aggression und Spott. »Erst, wenn unser Meister seine Macht erhalten hat, verlassen auch wir dieses Schiff und alle Personen, die ihr vor Euch seht. Dann werden sie wieder diejenigen sein, als die sie auf dieses Schiff kamen – Touristen. Sie werden tanzen, lachen, baden und saufen. Bis es so weit ist, beherrschen wir ihre Körper!«
»Mein Gott«, flüsterte Linda. »Diese armen Menschen. Sie wissen überhaupt nicht, was mit ihnen geschieht.«
»Da hast du recht, Unwürdige«, zischte der Alte. Schwerhörig war er offensichtlich nicht. Die Geistermenschen hinter ihm bewegten sich nervös. »Wir benötigten Eure Kraft.
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