Der totgeglaubte Gott
Frauen, ein Vogel, ein Krokodil, ein Kalb, ein Hund, eine Schlange, eine Zwiebel, ein Lauch wurden zu Göttern.« 20 Doch je mehr der Mensch die Kräfte der Natur verstand und sie zu nutzen wusste, desto mehr strebte er nach dem Bild eines alleinigen, ewigen, grenzenlosen und allmächtigen Gottes, der hinter dem ganzen Mechanismus stand. Auf diese Weise habe sich, vermutete Hobbes, der monotheistische Gott aus dem Polytheismus entwickelt. Denn diesem mächtigen Gott konnte man sich nähern, man konnte ihn anflehen, ihm Opfer darbringen, ihm gehorchen – alles in der Hoffnung, ihn dazu zu bringen, uns im Kampf mit der Natur beizustehen.
Doch der Psychologie der Religion haftet etwas Perverses an. Sobald der Mensch sich nämlich einen Gott erschafft, vor allem einen so mächtigen wie im Monotheismus, beginnt er auch, ihn zu fürchten. Hobbes greift an diesem Punkt der Legende vom Golem vor oder Mary Shelleys Frankenstein und stellt die These auf, dass der Mensch besessen ist von seinen Fantasien über die Beherrschung der Natur. Dann kommt zur Furcht vor der Natur noch die Furcht vor dem unberechenbaren Gott, der nie zufrieden ist, weil wir ihm nie vollkommen dienen können. Eine neue Kultur der Angst entsteht, zusätzlich zur Furcht vor der Natur, in der die Menschen seltsame Visionen entwickeln und abergläubische Methoden, um diesen zürnenden Gott zu besänftigen. Statt also die Natur zu erforschen, um sie mit ihren begrenzten Fähigkeiten beherrschen zu können, wenden die Menschen sich an jene, die vorgeben, sie könnten das »Unsichtbare« 21 heraufbeschwören. Da sie die wahren Ursachen nicht kennen, wenden sie sich hilfesuchend an jene, die von sich behaupten, die unsichtbaren Kräfte zu kontrollieren: Schamanen, Priester, Wunderheiler. Wenn dies geschieht, ist der Glaube des Menschen nicht mehr privater Natur, sondern in die öffentliche Sphäre der Politik eingetreten.
Der theologisch-politische Mensch
Hobbes’ Sicht der Entstehung des politischen Lebens ist vielleicht der bekannteste Aspekt seines Denkens. Der Mensch, so Hobbes, lebe mit seinen Artgenossen im »Naturzustand«, der sich allmählich zu einem dauerhaften Kriegszustand aus Angst und Aggression wandle. Schließlich müsse er aus Angst vor dem Tod einen Gesellschaftsvertrag schließen, der die Macht unbegrenzt auf einen »Souverän« überträgt, der den Frieden garantiert. Für heutige Leser ist, wenn sie Hobbes nicht gerade mit theologischem Interesse lesen, nicht klar, welche zentrale Rolle Hobbes der menschlichen Religiosität bei diesem Vorgang einräumte. Dabei zeigt sich erst dort Hobbes’ wahres Genie und seine Bedeutung für das politische Leben der Moderne. Er war der Erste, der davon ausging, dass religiöse und politische Konflikte im Wesentlichen ein Konflikt sind, ja dass sie gemeinsam entstehen, weil sie beide ihre Wurzeln in der menschlichen Natur haben. Der Zyklus politisch-theologischer Gewalt, in den die Christenheit stürzte, war allerdings nicht, wie Hobbes dies annahm, eine Ausnahmesituation in der Religionsgeschichte. Daher ließ er sich auch nicht durch kosmetische Veränderungen im Verhältnis von Kirche und Staat oder durch eine etwas großzügigere Bibelauslegung lösen. Das religiöse Problem und das politische Problem sind im Wesentlichen dasselbe. Sie können nur gemeinsam gelöst werden oder gar nicht.
Der Naturmensch ist laut Hobbes ein verlangendes Geschöpf und daher auch ein ängstliches. Wenn er allein der Natur ausgesetzt ist, wird er versuchen, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Da ihm dies nur teilweise gelingt, lebt er in der Angst, auch das noch zu verlieren, was er schon hat. Doch erst in Gesellschaft mit anderen Menschen erreicht diese Angst ihr nahezu unerträgliches Maximum. Da der Mensch sich selbst als Wesen voller Verlangen erlebt, ein Strom von Wünschen, der laut Hobbes erst im Tod endet, nimmt er natürlich an, dass die anderen von demselben Verlangen getrieben werden. »Dass in Anbetracht der Ähnlichkeit der Gedanken und Gemütsbewegungen eines Menschen mit den Gedanken und Gemütsbewegungen eines anderen jeder, der in sich selbst hineinblickt […] dadurch lesen und erkennen wird, wie die Gedanken und Gemütsbewegungen aller anderen Menschen bei den gleichen Anlässen sind.« 22 Das heißt, dass er seine Mitmenschen nur als potenzielle Wettbewerber erlebt, die versuchen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, was der Erfüllung seiner Wünsche unter Umständen im Weg steht. Mit diesem
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