Der totgeglaubte Gott
Streben.
Hobbes war ein Meister im Einebnen. Und was er auf den ersten Seiten des Leviathan abschleift, ist nichts anderes als das christliche Menschenbild. Die Bibel stellt den Menschen als Geschöpf dar, das nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde, der ihm das Leben eingehaucht habe. Gott spricht zum Menschen und gibt ihm Ohren zum Hören seiner Gebote. Doch wenn Hobbes recht hat, dann war Adam nichts weiter als ein unwissender, verwirrter Mensch, der sich auf seine eigene Erfahrung schon keinen Reim machen konnte, geschweige denn auf Gottes Wort. Der menschliche Geist ist ein schwaches Organ, das vor dem Vorbeirauschen der Erfahrung steht und versucht, den Wind zu fangen. Er ist auch ein unzuverlässiges Organ, das Denkfehler ebenso wie sprachliche Fehler macht und sich ständig vom Pulsieren von Gier und Abneigung ablenken lässt. Das gesamte Gebäude der christlichen Theologie aber baut darauf auf, dass der Mensch zwar nach dem Sündenfall der Versuchung ausgesetzt, doch grundsätzlich durchaus – durch Gottes Gnade – in der Lage ist, Gottes Wort zu empfangen und sinnvolle Aussagen über ihn zu machen. Diese Annahme, so Hobbes, sei falsch. Wir müssen uns also fragen: Wovon redet der Mensch, wenn er von Gott spricht?
Und Hobbes antwortet: Der Mensch spricht nur von sich selbst, von seiner eigenen Erfahrung. »Da es Anzeichen oder Ergebnisse von Religion nur beim Menschen gibt, besteht keinerlei Ursache zu bezweifeln, dass der Keim der Religion auch nur beim Menschen vorkommt.« 18 Dies ist vielleicht die wichtigste Aussage im Leviathan und strenggenommen ein non sequitur , ein logischer Fehlschluss. Aus der Tatsache, dass der Mensch religiös ist und das Opossum nicht, folgt nicht notwendig, dass die Religion nur wegen des Menschen existiert. Denn die theologische Annahme, dass der Mensch religiös sei, weil Gott ihn dazu gemacht habe, könnte ebenso richtig sein, selbst wenn Hobbes im Hinblick auf die Funktion des menschlichen Geistes richtig liegt. Wenn Gott allmächtig ist, kann er die Unwissenheit und die Leidenschaften des Menschen überwinden, sollte er dies entscheiden. Die Möglichkeit dieser Offenbarung kann Hobbes nicht von der Hand weisen. Er kann höchstens Zweifel an ihr wecken. Doch sein großes Geschick in den ersten Kapiteln des Leviathan lässt uns diese unbequeme Tatsache schnell vergessen. Wenn wir zum Kapitel über die Religion kommen, das auf die Hobbes’sche Analyse des menschlichen Geistes folgt, hat er rhetorisch das Feld bereitet, damit wir bereit sind, Religion als rein menschliches Phänomen zu betrachten, das seine Wurzeln in unserem unwissenden, von Leidenschaften gepeitschten Geist hat. Der traditionelle Gegenstand der Theologie – Gott und seine Natur – wurde erfolgreich ausgewechselt gegen den Menschen und seine religiöse Natur.
Hobbes’ humanistische Analyse der Religion ist ein Meisterwerk der Rhetorik und der Vernunft. Er nimmt die alte Lehre der Epikureer auf, um sie in das Gewand der Wissenschaft zu kleiden. Das Bild, das er zeichnet, ist ebenso simpel wie elegant. In der Religion seien zwei grundlegende Kräfte am Werk: auf der einen Seite das leidenschaftliche Verlangen des Menschen nach Vergnügen und das Vermeiden von Schmerz, auf der anderen Seite seine eigensinnige Ignoranz. Diese beiden wirken zusammen und machen aus dem Menschen eine Kreatur der Angst. Er wird von seinen Leidenschaften getrieben, weiß aber nicht, wie er sie befriedigen kann. Er sieht, dass die Natur ihm mitunter feind ist, seine Pläne durchkreuzt, und doch hat er keine Ahnung, wie er sie dazu bringen kann, seinen Wünschen zu gehorchen. Also lebt er in der Furcht: Er hat Angst zu verlieren, was er hat, Angst, dass seine Wünsche sich nicht erfüllen, Angst vor Schmerz und Tod.
Aus dieser Angst heraus werden die Götter geboren. Der Mensch, wie Hobbes ihn sieht, wird von der Angst vor der Zukunft getrieben. »Wie Prometheus, dem der Adler täglich die Leber herauspickt, so wird dem Menschen, der aus Sorge um die Zukunft zu weit vorausschaut, den ganzen Tag das Herz von der Furcht vor Tod, Armut oder anderem Unheil zerfressen, und es gibt keine Ruhe oder Unterbrechung für seine Sorge außer im Schlaf.« 19 Die Vorstellung von einem Gott spendet wenigstens ein bisschen Trost. Und sie schenkt, was noch wichtiger ist, potenzielle Hilfe in der Meisterung der Kräfte der Natur, die uns bedrohen. Anfangs erfand sich der verzweifelte Mensch in seiner Suche nach Trost absurde Götter »Männer,
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