Der Toyota Weg
Er konnte kein ERP-System installieren oder auf das Internet zurückgreifen, um in Lichtgeschwindigkeit Informationen zu empfangen und zu senden. Aber er besaß das Wissen über alle Aspekte der praktischen Fertigung, konnte auf engagierte Ingenieure, Manager und Arbeiter zählen, die ihr Bestes zu geben bereit waren, um dem Unternehmen zum Erfolg zu verhelfen. Damit ausgerüstet, begann er seine zahlreichen praxisorientierten Besuche der wenigen Toyota-Werke, bei denen er die Prinzipien des
jidoka
und des One-Piece-Flow anwendete. Nach Jahren und später Jahrzehnten der praktischen Erfahrung entwickelte er schließlich das neue Toyota-Produktionssystem. 3 Natürlich hatten Ohno und sein Team dies nicht allein bewerkstelligt.
Neben den Lektionen, die Ohno und sein Team von Henry Ford gelernt hatten, machte das TPS eine Anleihe bei zahlreichen US-Konzepten. Eine überaus wichtige Idee war das Pull-Prinzip, das von den amerikanischen Supermärkten inspiriert war. In jedem gut geführten Supermarkt werden einzelne Artikel aufgefüllt, sobald ihr Bestand unter einen bestimmten Level sinkt. Die Regalbestückung wird also vom Konsum gesteuert. Auf eine Fertigungsstraße übertragen bedeutet dies, dass Schritt 1 eines Prozesses keine Teile fertigen sollte (Regalauffüllung), bis der nächstfolgende Prozess (Schritt 2) seinen Bestand an Teilen, die von Schritt 1 an Schritt 2 transportiert wurden, verarbeitet hat (bis auf eine geringe Sicherheitsmenge als Puffer). Im TPS bedeutet das: Wenn Schritt 2 das von Schritt 1 gelieferte Material bis auf einen Grundbestand verarbeitet hat, wird automatisch ein Signal an Schritt 1 gesendet, Materialnachschub an Schritt 2 zu liefern.
Das ist vergleichbar mit dem Tankvorgang bei einem Auto. Wie in „Schritt 2“ signalisiert die Tankanzeige Ihres Wagens, wenn das Benzin zur Neige geht. Dann fahren Sie zur Tankstelle und – Schritt 1 – füllen Benzin nach. Es wäre dumm zu tanken, wenn der Tank noch halbvoll ist. Das Äquivalent dazu – die Überproduktion – geschieht in der Massenproduktion ständig. Bei Toyota ist in jedem Schritt des gesamten Produktionsprozesseseine Art „Tankanzeige“ integriert (
kanban
genannt), die dem vorhergehenden Prozessschritt signalisiert, wenn neuer Nachschub an Material oder Teilen benötigt wird. Das erzeugt den Pull-Effekt, der sich kaskadenartig auf die vorgeschalteten Prozessschritte bis zum Beginn des Fertigungszyklus fortsetzt. Im Gegensatz dazu herrschen in den meisten Unternehmen Prozesse vor, die mit einer erheblichen Ressourcenverschwendung befrachtet sind, weil die Arbeit von Schritt 1 in großen Volumina durchgeführt wird, bevor Schritt 2 sie weiterverarbeiten kann. Die halb verarbeiteten Teile müssen dann irgendwo zwischengelagert, verfolgt und aufbewahrt werden, bis sie von Schritt 2 gebraucht werden – eine Verschwendung zahlreicher Ressourcen. Ohne das Pull-System wäre das Just-in-Time-Konzept (JIT) – eine der beiden Säulen des TPS (die andere ist
jidoka
, prozessimmanente Qualität) – nie entstanden.
JIT ist ein Set an Prinzipien, Instrumenten und Techniken, die dem Unternehmen ermöglichen, kleine Mengen in kurzen Durchlaufzeiten zu produzieren und zu liefern, um spezifische Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Einfach ausgedrückt liefert JIT das richtige Produkt zur richtigen Zeit in der richtigen Menge. Der große Vorteil des JIT besteht darin, dass es eine flexible Reaktion auf kurzfristige Veränderungen der Kundennachfrage ermöglicht – und das war genau das, was Toyota unbedingt brauchte. Toyota nahm sich außerdem die Lehren des amerikanischen Qualitätspioniers W. Edward Demings zu Herzen. Deming gab in Japan Seminare über US-Qualität und -Produktivität. Deming zufolge ist die Erfüllung und das Übertreffen der Kundenanforderungen in einem typischen Geschäftssystem die Aufgabe eines jeden einzelnen Mitarbeiters der Organisation. Dabei dehnte er den Begriff „Kunde“ drastisch auf interne und externe Kunden aus. Jede Person bzw. jeder Schritt in einem Fertigungs- oder Geschäftsprozess hatte als „Kunde“ zu gelten und genau zum richtigen Zeitpunkt mit exakt dem beliefert zu werden, was er benötigte, um seine Arbeit zu machen. Das war der Ursprung von Demings Prinzip „Der nächste Prozess ist der Kunde“. Der japanische Satz dafür lautet
atokotei wa o-kyakusama
und wurde zu einer der bedeutendsten Leitsätze des JIT, denn in einem Pull-System heißt das, dass
der vorhergehende Prozess immer
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