Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
sinken. »Was sagen Sie?«
Sie beugte sich auf ihrem Stuhl vor, hielt dem Blick des Mannes stand und ließ zu, dass zumindest ein Teil des Zorns, der in ihrem Innern brodelte, aufstieg. Gefangen genommen,
eingesperrt, vor diese Männer gezerrt wie ein ungezogenes Kind, das demütig seine Strafe entgegenzunehmen hatte … In ihren Adern schwoll Zorn an und wurde zu einem Quell der Entschlossenheit.
»Ich sagte, ich habe Ihren Diamanten nicht gestohlen. Aber ich weiß, wer es getan hat. Und ich würde Sie mit Vergnügen zu ihm führen.« Noch einmal ließ sie den Blick zu Christoff wandern, der sie nun mit einem neuen, angespannten Zug um den Mund herum offen anstarrte, als ob er bereits wüsste, was sie gleich sagen würde.
»Aber das hätte seinen Preis«, endete sie und ließ sich entspannt auf ihren Stuhl zurücksinken. Rue schlug die Beine übereinander, wippte träge mit dem linken Fuß in der Luft und lächelte erneut, dieses Mal unmittelbar in die Richtung des Marquis.
Sie konnte die Sekunden zählen, die vergingen, ehe es ihnen allen dämmerte. Drei, zwei, eins …
»Wie können Sie es wagen!«, platzte Grady heraus, der aufgesprungen war. »Sie unverschämtes Geschöpf! Sie haben die Stirn …«
»Warten Sie, warten Sie …«, sagte ein anderer und legte Grady die Hand auf den Arm. »Lassen Sie uns …«
»… wagen es, dem Rat zu drohen …«
»… sie sagte, sie wisse …«
»… jemand hat ihn gestohlen …«
»… hat ihn versteckt …«
»… lassen Sie uns doch vernünftig …«
»… erlauben Sie ihr doch zu sprechen …«
Mittlerweile war der gesamte furchteinflößende Rat aufgestanden und stritt untereinander; etliche hatten sogar ihre Stimme erhoben. Aber Rue ließ den Blick unverwandt auf Christoff ruhen, der sich abseits hielt und schwieg und sie
unter gesenkten Lidern hervor musterte. Erst als jemand auf den Tisch zu hämmern begann, bewegte er sich, wie ein Raubtier, das sich aus der Beobachtung seiner Beute löst. Er schritt zum Kopf der Tafel, hob sie ohne Anstrengung in die Luft und ließ sie dann mit einem gedämpften Peng! wieder auf die Teppiche krachen. Die Papierstapel wirbelten durcheinander, und das Fass mit der Cloisonné-Tinte des Schreibers polterte zu Boden und rollte in einem Halbkreis, bis es kurz vor Rues Füßen zum Liegen kam. Mehrere der Männer sprangen erschrocken zurück.
»Halten Sie Ihre Zungen im Zaum und lassen Sie sie sprechen.«
Der Rat verharrte wie erstarrt. Die Tinte ergoss sich aus dem Fass über den Teppich. Rue gab ihm mit dem Fuß einen Stoß, damit es weiterrollte.
»Nun?«, forderte Christoff sie höflich zum Sprechen auf.
»Es ist ganz einfach.« Sie imitierte seinen Tonfall. »Ich führe den Rat zu dem Läufer, der Herte gestohlen hat - und es war wirklich ein anderer Läufer-,und im Gegenzug werde ich freigelassen. Keine Gefangenschaft, keine Ehe. Keiner von Ihnen hier und keiner aus dem Stamm wird mich je mehr belästigen.«
»Unmöglich«, knurrte Grady. »Sie können doch unmöglich glauben, dass wir auf einen solchen Vorschlag eingehen werden.«
»Dann lebe wohl, Diamant.«
»Also, das ist doch …«
»Ruhe«, bellte der Marquis, und zu ihrer Überraschung gehorchte ihm Grady und ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. Doch zornerfüllt ballte er die Fäuste, sodass die Fingerknöchel weiß wurden. Die anderen zwölf Männer folgten seinem Beispiel. Ein jeder schien zutiefst erstaunt, und sie setzten
sich auf Stühle, die nicht mehr am Tisch standen. Zwei oder drei rutschten einige Zentimeter in Richtung Tafel, aber das war auch alles.
Rue hatte ihre Hacken in den Teppich gegraben und jedem Drang widerstanden, aufzuspringen und zu fliehen. Ihr war trotz der Hitze der Kerzenleuchter kalt, auch wenn sie äußerlich eine solche Ruhe ausstrahlte. Innerlich war ihr so kalt, als drohe sie zu erfrieren, und sie konnte nur hoffen, dass das eisige Lächeln, das sie zur Schau trug, echt genug wirkte, um alle anderen zum Narren zu halten. Immer wieder hatte sie sich diesen Augenblick ausgemalt, hatte ihn im Geiste geplant und sich jede denkbare Reaktion des Rates und was sie selbst auf die Einwände würde erwidern können, überlegt. Sie musste alles auf eine Karte setzen, denn sie hatte nur diese eine. Ohne sie wäre sie tatsächlich so machtlos, wie der Rat angenommen hatte. Sie brauchte all ihre Kraft, um es zu einem guten Ende zu bringen.
Aber sie glaubte nicht, dass sie Christoff täuschen konnte. Nicht bei diesem Blick aus
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