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Der träumende Diamant 2 - Erdmagie

Titel: Der träumende Diamant 2 - Erdmagie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shana Abé
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gewöhnt und an das Herzklopfen vor unterschwelliger Aufregung und Erwartung, das durch den Stamm lief, wann immer eine ihrer Schwestern in die Luft stieg.
    Sie waren silberfarben und gold und rot und grün - prachtvoll.
    Mit Rue, dieser weißen Perle am Himmel neben ihnen, waren sie die größte Hoffnung für die Zukunft der Drákon . Die Dorfbewohner versammelten sich draußen, um zuzusehen, wie sie sich vom Erdboden lösten. Lia konnte nur bei ihnen stehen, das Gesicht emporgewandt, und versuchen, ihre schimmernde Familie zwischen den funkelnden Sternen auszumachen.
    Ihre Geburtstage verstrichen: siebzehn, achtzehn, neunzehn. Welch andere Gaben auch immer sie besaß, welche Mühen und Schmerzen auch immer sie auf sich nahm, um sie vor ihren Eltern und ihrem Stamm zu verbergen - dies war die Gabe, nach der es sie am meisten verlangte: vollkommen zu sein. Sich von der Erde zu erheben und um den Mond zu tanzen.
    Doch dies war nie geschehen. Das erwartungsvolle Herzklopfen um sie herum versiegte nach und nach. Man klopfte ihr mitfühlend auf die Schulter, lächelte sie traurig an und erinnerte sie daran, was für ein großes Glück es dennoch war, die Tochter eines Grafen zu sein. Amalia lächelte stets zurück und stimmte zu, während ihre Brust schmerzte und
sie ihre Nägel so tief in die Handflächen presste, dass die Haut zu bluten begann.
    Auch wenn ihr sonst nichts bliebe, so sagte sie sich nun, würde doch immer die Erinnerung an dieses Schiff verweilen. Der Geschmack von Teer und Salz und die Freiheit des Windes.
    Die Kutschen, die sie an Land gemietet hatte, waren groß und langsam und so voller Reisender, dass ihr eigener Geruch unter dem der anderen Dinge und Menschen unterging. Lia hatte einen Schleier an ihrem Hut, um ihre Gesichtszüge zu verbergen. Die Hände hielt sie steif unter ihrem Mantel und versuchte, sich nicht viel zu bewegen. Wann immer sie aus einer Kutsche stieg, war sie stets rasch dahinter verschwunden, um den anderen Tieren aus dem Weg zu gehen, und meistens war ihre Taktik erfolgreich.
     
    Nur heute nicht.
    Sie blieb reglos auf den Stufen der Gasthaustreppe stehen, umgeben von Lakaien und ihren Truhenkoffern, und der Saum ihres Mantels peitschte im Wind um ihre Beine. Die Schimmel ließen sich nicht beruhigen, und jenes Pferd, das ihr am nächsten stand, begann zu wiehern, schrill und aufgebracht. Lia seufzte und machte einen Schritt zurück. Dann sah sie die Marmorstufen hinauf, als suche sie Hilfe. Der Gastwirt eilte bereits auf sie zu.
    Ein Windstoß von Osten, vom Wasser aus, fuhr herein. Wenn sie sich nach links bewegte …
    Eine Hand an ihrem Ellbogen.
    »O nein, Löwenmäulchen, jetzt gibt es kein Zurück mehr.«
    Es war Zane, der sie die letzten Stufen hinuntergeleitete.
Während die Pferde scheuten, wurde sie förmlich in die Kutsche geschoben und musste sich mit beiden Händen abstützen, als es einen gewaltigen Ruck gab. Dann wurde die Tür hinter ihr zugeschlagen, und sie fiel in die Sitze. Das plötzlich fehlende Sonnenlicht verwirrte ihre Augen.
    Ihr Mantel war unter ihr zerdrückt und nun ein rutschender Knoten von Seide und Wolle auf den Kissen. Sie drehte und wandte sich, um ihn unter sich hervorzuziehen, während sie hörte, wie Zane zur Vorderseite des Gefährts ging. Der Kutscher war schon dort und fluchte laut in einer Sprache, die wie Latein klang; aber aus irgendeinem Grund war es leichter, Zane zu hören, obwohl dessen eiliger Gang unter dem lauten, stoßweisen Wiehern der Schimmel kaum vernehmlich war.
    Endlich hatte sie ihren Mantel befreit. Lia setzte sich zurück, und die Dunkelheit begann zusammenzuschrumpfen, sodass sich nach und nach Formen, Gewebe und die senfgelbe Polsterung abzuzeichnen begannen. Außerhalb der Kutsche, inmitten des Windes und des Ratterns der Straße und jenseits der hölzernen Wände, setzte Zane sehr leise zu sprechen an.
    Weil sie allein war und weil er es nicht wissen konnte, schloss sie ihre Augen und öffnete all ihre Sinne. In diesem kurzen Moment ließ sie zu, dass das unablässige Dröhnen ihrer Umgebung vollends in sie einströmte: das raue Einsaugen von Luft in mächtige Lungen. Das erstickte, schabende Klappern von Hufen auf dem Pflaster.
    Das Knirschen der Lederriemen; die beanspruchten Scharniere an Wänden und Kutschboden.
    Ganz ruhig, meine Liebe, sei still …
    Der Geruch des Flusses. Schaler Tabakdunst von den Fenstervorhängen,
der Duft von Pinienharz in ihrer Nase, von Walnüssen und Eisennägeln - und schließlich,

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