Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
du hast dir die Mühe gemacht, das offizielle Schulpapier zu besorgen.«
Lia zuckte mit den Schultern. »Ohne das wäre es wohl nicht sehr überzeugend gewesen.«
»Das stimmt. Und das Siegel der Marquise?«
»Ich habe mir bereits letztes Ostern eine Kopie anfertigen lassen.«
»Raffiniert.«
»Danke.«
»Keine Ursache. Es ist mir immer ein Vergnügen, die Talente eines ähnlichen Gaunergemüts anzuerkennen.«
Sie stützte ihr Kinn auf die Faust. Die Feder, dachte sie, musste von einem Fasan stammen, denn sie war gestreift
und hatte Punkte. Vielleicht aber kam sie auch von einer Wachtel. Stirnrunzelnd besah sie sich den Kiel, denn es war einfacher, sich damit statt mit Zane zu beschäftigen.
Er hatte inzwischen seine Perücke abgesetzt und seine elegante, schwarze Jacke ausgezogen. Seine Weste war aus silbernem Brokatstoff mit einem Muster von Weiden- und Weinblättern, die im schwachen Morgenlicht kaum zu erkennen waren. Gedankenverloren war er sich mit den Fingern durchs Haar gefahren, bis es wie ein lohfarbenes Tuch herabhing, auf das die Sonne goldene Tupfer malte. Diese braunen und goldenen Haare waren länger, als sie es je bei einem Mann gesehen hatte - beinahe halb so lang wie ihre eigenen Locken.
Sie fragte sich, warum er sie nie kürzen ließ. Aber sie war auch froh darüber, dass er es nie getan hatte.
Er verließ seinen Platz an der Tür und kam zu ihr, um einen Fuß - mitsamt Schuh - auf das Kissen im Sessel neben ihr zu stellen und seinen Kopf hinabzubeugen, bis sein Haar über die Schultern nach vorne fiel. Ohne Lia anzusehen, begann er damit, es langsam zu flechten.
»Hattest du Unkosten?«
»Ich habe genug gespart.«
»Papa ist wirklich großzügig.«
Sie ließ ihn in dem Glauben. Bis zu diesem Monat hatte sie nicht mehr als eine Guinee in drei Jahren für sich selbst ausgegeben. Die Hälfte der hochnäsigen Dummköpfe in Wallace glaubte, sie selbst werde ebenfalls von der Gemeinde unterhalten.
»Und natürlich, Madame Langford, bin ich höchst begierig zu erfahren, welche weiteren Aspekte deines bisherigen Lebens noch alles von kaltblütigen Lügen gedeckt werden.
Jeder zu Hause scheint unter dem Eindruck zu stehen, dass du ein sehr, sehr trauriger Fall bist. Nicht die Spur einer der alten Familiengaben.«
»Dieser Teil stimmt«, sagte sie und unterbrach für einen Augenblick das Kreisen mit der Feder.
»Wie kommt es denn dann, dass du etwas über den Verbleib des sagenhaften Diamanten weißt?«, fragte er mit sanftem Drängen. »Wo doch niemand sonst eine Ahnung hat.«
Der Federkiel kratzte einige Male über die Seite.
»Das stimmt nur fast .«
» Fast . Wie schrecklich faszinierend«, sagte er in einem Ton, der andeutete, dass dies ganz und gar nicht der Fall war. Er ließ seinen halb geflochtenen Zopf sinken und lief quer durchs Zimmer, um bei einer Karaffe auf dem Secrétaire mit marmorner Tischplatte stehen zu bleiben. Aus den Augenwinkeln sah Lia, wie er sich ein Glas der dunklen Flüssigkeit einschenkte. Bordeaux. Sie konnte von ihrem Platz aus den trockenen Duft riechen.
Er hielt das Glas zwischen den Handflächen und starrte nachdenklich hinein. Ihr bot er nichts an.
»Ich verstehe nicht, was es dich kümmert, wie ich hierhergekommen bin«, sagte sie und ließ die Feder auf die Tischplatte fallen. »Alles, was zählt, ist die Tatsache, dass ich hier bin, um dir zu helfen. Ich hätte gedacht, dass dir das gefällt. Von dem Geld werde ich nichts für mich beanspruchen, du kannst den ganzen Gewinn allein einstreichen. Jeder andere Dieb der Welt würde sich vor Freude überschlagen, wenn eine schöne Frau ihm den Weg zu einem wertvollen Edelstein zeigte.«
»Aha. In Bescheidenheit bist du nicht unterwiesen worden, will mir scheinen.«
Sie winkte ab. »Ich meinte ja nur … ich wollte nur …« Ihr entfuhr ein Seufzen, und sie drehte sich auf ihrem Stuhl, um ihn ansehen zu können.
»Ich bin mir meines Gesichtes bewusst. Es ist ein Teil dessen, was unserer Art passiert. Du hast also völlig recht.« Sie schluckte. »Wir sind Monster. Aber … Ich könnte ein Monster sein, das dir hilft. Zumindest in diesem Fall.«
Er hob den Blick zu ihr. Sie starrten sich an, während das Licht hinter ihm sich langsam zu einem warmen Perlgrau veränderte. Nach einem kurzen Moment stellte er mit einem Ruck seinen unangetasteten Wein wieder auf dem Secrétaire ab, ging zum Himmelbett und zerrte an seinem Jabot, bis dieses sich löste.
»Wo nächtigst du?«, fragte er, die Augen wieder
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