Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
entspannt, wie eine Puppe mit losen Gliedern. Ihr Kopf sank gegen seinen Nacken; seine Hände griffen in ihr Haar und zerzausten es; sie zerrten an dem festen Kranz, den sie an diesem Morgen geflochten hatte, und während sich seine Finger hineingruben, glitten die Innenseiten seiner Hände über ihre Wangen. Sie roch ihn und verbrannte Pinie und frisches Wasser, was betörender wirkte als jeder Wein.
Mit den Daumen auf ihrem Kiefer drückte er ihren Kopf zurück, um sie noch einmal zu küssen, während sich sein Körper zurückzog. Dann ließ er seine Hände sinken und machte einen Schritt nach hinten. Ihr Kleid rutschte wieder hinab über ihre Knie.
Ein neues Geräusch schallte durch den Wald, und es kam von gar nicht weit weg. Pferde. Das gleichmäßige Kreischen von Holzrädern.
Zane steckte sich das Hemd zurück in die Kniebundhosen, während Lia um die Buche herumging und die Straße in Augenschein nahm. Eine vierspännige Kutsche - nicht ihre eigene - kam den Berg herab auf sie zu; riesige, braune Pferde suchten sich einen Weg auf diesem Abhang, und die Peitsche des Kutschers schnalzte laut in der Luft.
Zane stieß den Atem aus und bückte sich, um seinen heruntergefallenen Dreispitz wieder aufzuheben.
»Mylady, offenkundig werden wir erwartet.« Er drehte sich um, um auch ihr Oberteil aufzuklauben, während er grimmig weitersprach. »Mach nicht solche Kuhaugen. Wenn der Kutscher nicht ohnehin schon ausgespäht hat, was wir getrieben haben, wird er es sofort am Ausdruck auf deinem Gesicht erkennen.«
Sie stieß ihn fort, fest genug, um ihn ins Stolpern zu bringen. Aber er kam geradewegs zurück, strich ihr die losen Haarsträhnen von den Wangen und klopfte ihr den Schnee vom Ärmel und von den Schultern. Sie griff hinauf und zog ihm den Hut tief über die Ohren.
Bedächtig schob Zane ihn wieder zurück und bedachte Lia mit einem kritischen Blick. »Es ist nicht dein Fehler, schätze ich. Zweifellos kannst du gar nichts dafür, dass du so verdammt bezaubernd bist.«
Ihr fiel keine einzige patzige Antwort ein, ehe der Vierspänner sie erreicht hatte.
16
Die stärkste Magie, wie du wissen musst, erwächst aus dem glänzenden scharfen Rand von Himmel und Erde. Die Erde hat ihre Wurzeln und geometrischen Kristalle; diese Dinge sind nützlich für die grundlegenden Sprüche, um Lebewesen in Versuchung zu führen und ihr Schicksal so zu verändern, wie eine rotglühende Klinge von Hammer und Amboss geformt wird.
Der Himmel hat seine Planeten und Orbits und seine unendlichen Sternenkonstellationen. Die Himmelsmagie ist transparent, hat keine Verbindung zur Erde und ist nützlich, um in Gedanken einzudringen, Allianzen zu schmieden und Feinde zu gewinnen oder im wässrigen Licht des Vollmonds das Gift in einem Becher zu entdecken.
Doch nur in diesem begrenzten, unaussprechlichen Raum, in dem sich die beiden Reiche an den Rändern berühren, ist die reinste Form der Magie zu finden: gewaltig und aufbrausend, mit Funken und Kometen und Wirbelwinden, unsichtbar für das menschliche Auge. Vor Äonen von Jahren wurden von diesem Ort aus, aus dem Reich der Diamanten, der Lava und der rubinfunkelnden Sterne, die Drákon ins Licht geschleudert, was der Grund dafür ist, dass wir der Scheitelpunkt aller Dinge sind.
Wir bluten mit den Bergen. Wir grübeln mit den Sternen. Unsere Gaben sind mannigfaltig. Wir sprechen mit den Steinen. Wir verwandeln uns in Rauch. Wir verbiegen Metall mit unseren bloßen Händen und rauben Leben mit unseren Klauen. Wir sind ungebunden und klar wie der Himmel und wild und mächtig wie die Erde.
Aber Träume sind nicht unser angeborenes Terrain. Wenn sich die Gabe des Hellsehens in einer Seele unseres Volkes regt, hat das entsetzliche Folgen. Von den wenigen in unserer Geschichte, die über diese Gabe verfügten, versanken beinahe alle im Laufe der Zeit im Wahnsinn. Es kann nicht leicht sein, die eigene Zukunft vorauszusagen oder die des eigenen Volkes. Es kann nicht angenehm sein, Zeuge der Geschichte vom Leben und Tod des eigenen Stammes zu sein, noch ehe sie stattgefunden hat.
Unter dem Bann der mächtigen Karpaten, unter ihrem Odem, der über Amalias Herz wehte, teilte sich Lias Gabe. Zwei Wege in die Zukunft lagen nun vor ihr: ein dunkler und ein strahlender; und ein und derselbe sterbliche Liebhaber zog sie mit seinen Händen sowohl in die eine als auch in die andere Richtung.
Und jeder Schritt, den sie machte, zog sie tiefer an die Dunkelheit heran.
17
Die Burg war riesig.
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