Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
scheint mir, dass einer von uns beiden es hätte sein sollen. Warum erzählst du mir jetzt nicht von deinen Träumen, Lia? Von den schlimmen.«
Sie zögerte.
»Lia«, begann er noch einmal, sanft und beschwörend, genau wie in diesen Träumen. »Glaubst du, ich weiß es nicht? Glaubst du, ich höre dich nachts nicht? Du schwimmst nur unter der Oberfläche des Schlafes. Du sprichst meinen Namen. Zwischendurch weinst du. Du solltest mir unsere zukünftigen Schwierigkeiten besser jetzt als später offenbaren.«
Sie sah auf. »Ich sterbe als alte Frau. Ich bin nie in die Toskana gereist.«
»In die Toskana.«
»Ja.«
»Was ist denn dort?«, fragte er behutsam nach.
»Du«, antwortete sie. Die Troddeln um ihn herum tanzten und fingen in ihren glänzenden Satinfäden das Licht ein.
»Habe ich dir schon mal gesagt, dass wir mit deinen Talenten unser Geld verdienen sollten? Ich bin mir sicher, wir würden da ganz schön etwas zusammenbekommen.«
In ihren blinden Träumen hatte er von der Sonne gesprochen. Er hatte die sengende italienische Hitze erwähnt und den Palazzo , den sie kaufen würden, sobald ihr erstes Kind geboren wäre.
Zane schaute wieder aus dem Fenster. »Befindet sich der Diamant im Besitz des Prinzen?«
»Nein.« Sie wartete, aber er stellte keine weiteren Fragen, sodass sie leichthin fortfuhr: »Willst du denn gar nicht wissen, wo er steckt?«
Es dauerte eine Weile, bis er antwortete: »Solange du bei mir bist, ist das nicht nötig, nicht wahr?« Er klopfte mit einem Finger gegen eine safrangelbe Troddel und betrachtete sie, als berge sie die wertvollsten Geheimnisse der Erde.
Niemand begrüßte sie am Fallgatter und auch nicht an den uralten eisernen Haupttoren. Niemand kam zu ihnen, um die Pferde zu versorgen, und der Kutscher schien vollkommen zufrieden damit, dass es keinerlei Hilfe gab. Er lenkte die Kutsche über den Steinweg, der sich an der Burgmauer entlangwand, bis er schließlich langsamer wurde und neben einem Vorhof haltmachte, auf dem das Gras und die alabasternen Springbrunnen vereist waren.
Zane stieg rasch aus, und die Kutsche neigte sich unter seinem Gewicht. Er wartete beinahe eine ganze Minute, ehe
er Lia die Hand reichte. Sie trat neben ihn auf den Steinweg und blinzelte.
Die Burg, die Mauern, die Springbrunnen und der Schnee, alles glänzte weiß. Lia konnte nicht anders: Nur einen Moment lang presste sie sich eine Hand vor die Augen, um diese zu schützen.
Die Pferde schnaubten. Zane legte Lia den Arm um die Taille, zog sie enger an sich, so nah, dass er ihr Kleid zerdrückte, und zerrte sie weg von den Rädern. Der Kutscher warf ihnen zum wiederholten Mal ein heiteres Lächeln zu, um dann irgendetwas zu brabbeln. Er tippte grüßend mit einer Hand an seinen Kopf und griff nach den Zügeln. Die Kutsche rumpelte davon und folgte dem Weg entlang der Innenmauer.
Sie standen allein vor der großen Burg und lauschten dem Heulen des Windes. Und Lia, die den Kopf gewandt hatte, hörte mehr als das: Sie lauschte auf die Steinmauern und den Erdboden, und auch auf Draumr , der wie ein Singvogel unter ihren Füßen gefangen war.
»Willkommen zu Hause, kleiner Drache«, murmelte Zane.
Ehe sie antworten konnte, begannen sich die Eisentore knirschend zu öffnen, beeindruckend langsam, und durch die entstehende Öffnung schoss etwas aus der Dunkelheit ins Licht: ein Hundepaar, riesige, geisterhafte Schatten, schnell und lautlos, die geradewegs auf sie zusprangen.
Sie hatte keine Zeit, sich zu bewegen. Sie hatte auch keine Zeit, zurückzuzucken. Sie sah Zähne und Zungen und sehr schwarze Augen - und dann Zane, der sich mit erhobenen Armen vor sie geworfen hatte.
Er fing beide Tiere ab. Sie konnte nicht sehen, wie er das
gemacht hatte, nur dass es ihm gelungen war und die Hunde zappelnd gegen ihn gepresst waren. Er ließ sich auf ein Knie sinken. Seine Hände hatten sich im Nacken der Hunde im weißen Fell vergraben. Die Tiere wanden sich in seinem Griff und verdrehten ihre Köpfe. Einem von ihnen gelang es, Zane die Wange zu lecken.
Fast hätte Lia entsetzt den Atem ausgestoßen, und er fühlte sich wie Feuer an. Rechtzeitig jedoch fasste sie sich wieder, presste ihre Lippen zusammen und ihre Hände aufs Herz und sah mit gehetztem Blick auf den Fremden, der in der Dunkelheit neben den Toren zum Hauptturm der Burg stand.
»Das sind meine Wächter«, rief er auf Französisch und klatschte in die Hände. »Verzeihen Sie ihnen. Sie sind wilde Biester.«
Zane öffnete die
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