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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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aber anstatt an meine Sorgen und meine Pläne zu denken, kamen mir die wildesten Gedanken in den Sinn, wenn ich in seine eng beieinander liegenden kleinen Augen sah. Er war bestimmt mit einer Hure aus Tunis verabredet.
    Er zog wortlos ein Papier aus der Westentasche, legte es auf den Tisch, nachdem er zuvor mit einem Papiertaschentuch die Oberfläche gesäubert hatte. Dann nahm er einen Kugelschreiber und fragte mich nach den Namen meiner Eltern, meinem Geburtsdatum und der Nummer meiner Identitätskarte. Er trug das alles ein und streckte mir das Papier entgegen, ohne es jedoch loszulassen. Während er es an einer Ecke zwischen Daumen und Zeigefinger festhielt, forderte er mich mit einem Kopfzeichen auf, unten rechts zu unterschreiben. Und wiederum das Papier festklemmend streckte er die Linke aus und zeigte mir mit einem unübersehbaren Grinsen, wohin ich das Geld legen sollte.

    Es war ein Briefpapier einer italienischen Firma. Lombardi Costruzione stand obendrauf. Ihr Firmenzeichen war ein Kran. Also sollte ich auf dem Bau arbeiten, was mir entgegenkam, denn ich wünschte mir eine Arbeit an der frischen Luft. Bevor der mysteriöse Beamte, der sich weder mit Namen noch Vornamen vorgestellt hatte, verschwinden konnte, gelang es mir, den Lohn auf dem Papier zu entziffern. Ich schaute meinen Freund, den Professor, an und fragte: ‚Tausend Euro im Monat?’ Er nickte mit einem zufriedenen Lächeln, gratulierte mir und fügte hinzu: ‚Unterkunft und Verpflegung werden euch zur Verfügung gestellt, kostenlos, versteht sich!’
    Ich war nun im Besitz eines Arbeitsvertrages mit einer Firma im gelobten Europa. Ich tat in jener Nacht kein Auge zu. Immer wieder malte ich mir aus, wie ich in Italien hart arbeiten und Geld beiseitelegen würde. Wenn ich auch von den Europäern wusste, dass sie tüchtige Arbeiter sind, so käme ihr Eifer niemals an meinen heran. Ich würde neben der Baustellenarbeit noch abends in einem Café oder einem Restaurant abwaschen, servieren, kochen, was auch immer. Ich würde einen zweiten und vielleicht einen dritten Job annehmen, um endlich reich zu werden. Dann würde ich nach Hause zurückkommen, noch mehr Kamele kaufen und ein richtiges Kamelreiter-Unternehmen gründen. Ich würde mindestens fünf Gesellen anstellen, die mit mir die ganze Gegend von Sousse bearbeiten würden. Dann würde ich meine beiden Schwestern verheiraten. Meiner Mutter würde ich ein kleines Häuschen bauen, ich aber nähme mir eine schöne, junge Frau. Das waren meine Ziele.

    Dann ging es Schlag auf Schlag: Ticket, Devisen, Visum, Abschied. Plötzlich befand ich mich mit ein paar anderen jungen Männern auf einem Schiff in Tunis, das Richtung Genua ausfuhr. Kaum hatte es abgelegt, spürte ich schon den Reichtum Europas. Ich fühlte mich wie einer, den nichts mehr aufhalten konnte. Dort, am Ende dieses riesigen blauen Teiches, dort warteten Arbeit, Geld und – wer weiß – eine Frau auf mich. Ich stand auf dem Deck und schaute in dieses wunderschöne, gefährliche Meer. Die Worte des Professors hallten noch in meinem Ohr: ,Konzentrier dich auf die Arbeit, mach uns keine Schande, lass die Europäerinnen in Ruhe und spar, wo du kannst!’
    Mir war aber nicht nach Sparen zumute. Auf einmal, als wenn der Einfluss dieses Europas mich schon wie ein Rauchschwaden erreichte, wollte ich mich amüsieren, leben, genießen. Ich hörte sie schon nach mir rufen, diese Blondinen mit Augen, so blau wie unser Meer, mit einer Haut, so sanft wie unsere Sanddünen. Dort oben wartete grenzenlose Freiheit auf mich. Bei allem Respekt, Professor, ich werde zu sparen versuchen, aber nimm’s mir nicht übel, wenn ich dabei auch am Duft der grenzenlosen Freiheit schnuppere.
    Während der Fahrt kam ich mit meinen Schicksalsgenossen ins Gespräch. Alle hatten sie einen Vertrag aus verschiedenen Quellen. Aber alle hatten sie dafür bezahlt. Wir zeigten einander die Papiere und stellten mit Freude fest, dass wir denselben Arbeitgeber hatten. In der Gruppe fühlten wir uns wohl. Einer von uns, Samir, sprach nahezu perfekt italienisch. Er würde uns helfen, wenn wir Schwierigkeiten begegnen sollten. Denn je näher das Schiff der europäischen Küste kam und je weiter unsere Heimat entfernt war, umso größer wurde die Panik, die sich plötzlich einschlich. Nicht dass wir den Italienern nicht trauten, aber wir wussten nicht, was wir tun sollten, falls etwas schiefginge. Was wäre, wenn niemand uns abholen käme? Oder wenn man uns Fragen stellen

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