Der träumende Kameltreiber (German Edition)
Vorarbeiter streckte ihm einige Euro entgegen und sagte, dass der nächste muslimische Metzger nur fünfzehn Minuten von hier wohnte. Aber er solle aufpassen, er dürfe nicht gesehen werde, weil die Polizei anscheinend nicht gerne sähe, dass man zu diesem Metzger ginge. Es sei eben verpönt, zu schlachten, wie wir Moslems es täten. Dabei machte er ein Zeichen mit der Hand an seiner Gurgel, das eindeutig das Durchschneiden der Kehle bedeutete. Ich fragte mich dann zum ersten Mal, wie es die Christen eigentlich taten. Ließen sie die Tiere einfach sterben und bereiteten das Fleisch dann zu? Darum stank es vielleicht. Oder erschossen sie ihre Tiere oder erstickten sie? Ich hatte keine Ahnung, dass sie genau so schlachteten wie wir und das Blut aus dem Tier fließen ließen, nur mit dem Unterschied, dass sie das Tier zuvor betäubten. Wusstet ihr nicht, Freunde, was?
Als Samir vom muslimischen Metzger zurückkam und uns einige Lammkoteletts brachte, war er außer Atem, als wäre er gerannt.
Wir hatten einen dermaßen großen Fleischbedarf, dass wir sofort ein Feuer in einer Tonne entfachten und das Fleisch darin grillten. Während wir es gierig verzehrten, erzählte Samir:
‚Freunde, hier stimmt etwas nicht. Der türkische Metzger hat mich gefragt, ob ich auf dieser Baustelle arbeite und ich sagte Ja und er fragte: ‚Mit oder ohne Papiere?’, und ich zeigte ihm meinen Vertrag. Da lachte er laut. Ich schaute ihn verwirrt an und er lachte noch lauter. ‚Maffia’, hörte ich ihn sagen. Wisst ihr, was das ist, die Maffia?’ Samir hatte davon erfahren, als er mit italienischen Touristen sprach. Eine ganz gefährliche Organisation. Wurde die Baustelle von einer kriminellen Bande geführt? Uns blieb das Fleisch im Hals stecken, als Samir eins und eins zusammenzählte: ‚Seht doch, sie lassen uns seit Tagen nicht aus der Baustellenzone hinaus. Warum dürfen wir nicht in ein Café in die Stadt? Warum müssen wir früh anfangen und früh in unsere Baracke? Irgendetwas stimmt nicht, Freunde!’
Wir hatten Angst und beschlossen, nicht mehr darüber zu reden. Vor allem waren wir uns einig, dass wir Samir nicht zum Vorarbeiter mit Fragen schicken wollten, denn wir wollten keinen Verdacht erregen. Vielleicht irrte sich dieser Türke oder er wollte uns nur Angst machen oder er war sogar neidisch auf unseren Erfolg. Türken gleichen in dieser Hinsicht den Arabern, man gönnt dem anderen nichts. Der Zahltag nahte und wir wollten endlich dieses viele Geld in den Händen spüren. Wir arbeiteten ruhig, geduldig und zuverlässig weiter.
Ich erfuhr, dass die Italiener das Geld ‚Denaro’ nannten. Das verstanden wir gut, obgleich wir keine Dinars, sondern harte, starke Euros bekommen würden. In zwei Tagen sollte es so weit sein. Der erste große Zahltag. Ich wollte zuerst neue Jeans kaufen und gute Schuhe. Samir, der Italienisch-Könner, wollte seiner Mutter Geld schicken. Das wollten wir alle. Aber er musste es sofort schicken, denn der Arzt wartete darauf. Er wollte keinen Finger rühren, bis das Geld käme. Samir war nervös und ungeduldig.
Soufian hatte Frau und Kinder in Mahdia. Obwohl seine Frau Teilzeit arbeitete, wartete die ganze Familie auf den ersten großen Geldsegen. Die Kinder brauchten neue Winterkleidung, sagte er uns, und die Frau musste dringend einige Schulden ihres Mannes zurückzahlen.
Abdelmajid hatte niemanden zurückgelassen, dem er das Geld schicken sollte. Er freute sich lediglich, das Geld unter sein Kopfkissen zu legen und darauf zu schlafen. Aber er war nicht so glücklich wie wir. Er kam sich – im Vergleich zu uns – irgendwie nutzlos und unbrauchbar vor: niemand, der auf sein Geld wartete, niemand, der seine Hilfe brauchte. Ein Mann muss immer gebraucht werden. Auf einen Mann muss immer jemand warten.
Nur Lotfi wollte seinen ganzen ersten Lohn nach Hause schicken, um seine geborgten tausend Dinars, seine geborgten Devisenvorräte und seine geborgten hundert Dinars, die er für das Abschiedsfest gebraucht hatte, zurückgeben zu lassen. »Jede Minute, die du mit deinen Schulden länger lebst, als notwendig, ist eine verlorene Minute«, sagte er uns vorwurfsvoll und verdarb uns damit die Freude an unseren Vorhaben.
Am Tag der Belohnung standen wir besonders früh auf. Wir wollten Eifer und Fleiß zeigen, damit ja nichts schiefginge. Wir waren die ersten Arbeiter auf der Baustelle und machten uns sofort an die Maurerarbeiten, die man uns zugeteilt hatte. Jeder von uns spürte diese
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