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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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knisternde Spannung; irgendwann im Laufe des Vormittags sollte der Zahlmeister vorbeikommen und jedem von uns einen Briefumschlag in die Hand drücken. Ob wir dann weitergearbeitet hätten oder vor lauter Freude einfach in unsere Baracke verschwunden wären, wussten wir damals nicht.

    Plötzlich hörten wir das Trillern mehrerer Pfeifen, quietschende Reifen, Türen, die schnell aufgingen und zugeknallt wurden, Hupen und Sirenen. Dann sahen wir, wie einige Arbeiter davonliefen. Unsere Kiefer klappten hinunter. Was war los? Ein Italiener kam auf uns zugerannt und sagte: »Polizia, Polizia!« Ja und?, dachten wir. Wir machen unsere Arbeit und haben unsere Verträge in den Taschen oder in der Baracke. Was sollte uns die Polizei anhaben?
    Tja, ob es wirklich die Polizei war oder eben die Mafia, die Polizei spielte, werden wir nie erfahren. Immer mehr Arbeiter verschwanden von der Baustelle, nur die Italiener blieben. Albaner, Türken und Südamerikaner, Asiaten und Schwarzafrikaner, alle rannten sie um ihr Leben. Nur wir fünf Idioten standen da und staunten. Zwei Uniformierte kamen zu uns, einer von ihnen war bewaffnet und hielt die rechte Hand am Halfter. Wir sollten unsere Papiere zeigen. Drei von uns hatten ihre Papiere bei sich. Der unbewaffnete Beamte schaute die Verträge an und lachte kopfschüttelnd. Dann sprach er etwas in sein Funkgerät, worauf zwei andere Beamte kamen, diese hatten Handschellen dabei. Lotfi und ich gingen inzwischen unsere Papiere in der Baracke holen und sahen aus dem Fenster zu, wie unsere drei Freunde, einschließlich unseres Dolmetschers, an das Auto gedrückt und in Handschellen abgeführt wurden. Wir sahen uns kurz an. Wir hatten dieselbe Idee. Aus der Baracke verschwanden wir mit dem Nötigsten: Papiere und je ein Hemd und eine Hose in der Hand. Wir rannten wie Flüchtlinge vor ihrem Peiniger. Es dauerte ziemlich lange, bis die Polizisten wieder an uns dachten. Als sie »fermo, fermo« riefen, konnten wir sie kaum mehr hören; wir machten die Augen zu und liefen. Merkwürdigerweise wurden wir weder verfolgt noch schoss der bewaffnete Polizist auch nur in die Luft. Wir hielten erst an, als ich außer Atem war

    und mir Beine und Lungen wehtaten. Lotfi war in Form, er nahm mich noch bei der Hand, wie ein Kind oder eine Frau, und rannte noch ein paar Minuten mit mir, bis ich zusammensackte. Wir machten eine Pause.
    ‚Das ist doch nicht wahr, das ist doch ein Traum, ein Albtraum, eine Farce. Was sollte das? Wo bleibt unser Geld? Und warum haben sie uns verhaften wollen? Lotfi, was haben sie uns angetan?’
    Lotfi war der Ältere von uns. Ich erwartete Hilfe und Antworten von ihm.
    ‚Sieh mal, mein Freund, es war entweder die Polizei, die Kontrollen auf Baustellen machte und dabei unsere falschen Verträge fand – hast du gesehen, wie er gelacht hat, als er den ersten Vertrag sah? Oder aber es war die Maffia, diese verfluchte Bande, die ausgerechnet am Zahltag so ein Theater macht und die illegalen Arbeiter vertreibt, obwohl sie schon einen Monat gearbeitet haben. Ich hoffe, es war die Polizei, denn die sind verpflichtet, unsere Freunde nach Hause zu schicken. Die Maffia ist zu gar nichts verpflichtet. Samir hat mir an jenem Abend mit den Lammkoteletts noch einiges über die Mafia erzählt.’
    Ich bekam Angst, furchtbare Angst. Wisst ihr überhaupt, wie das ist, irgendwo auf dieser Erde Gottes zu stehen und keine Landsleute zu haben? Wir alle schimpfen über sie, wir lachen über sie, wir behandeln sie ohne Respekt und ohne Liebe. Aber glaubt mir, sie sind es, die Landsleute, die in diesem Moment fehlen, und wenn es nur wäre, um unsere Sorgen zu hören. Wem wollten wir unser Problem schildern? Wem konnten wir uns anvertrauen? Ich hätte damals gewollt, dass der Professor mit uns gewesen wäre. Er hätte bestimmt wieder eine Zeichnung gemacht und am Schluss ein Wort rot eingekreist. Was wäre es gewesen? Ich setzte mich auf einen Baumstamm, denn wir standen an einem Waldrand, und versuchte, die Gedanken des Professors nachzuahmen. ,Also gut’, sagte ich zu Lotfi,,wir haben jetzt mehrere Möglichkeiten: Wir könnten uns beim nächsten Polizeiposten ergeben. Vielleicht sind unsere Papiere doch in Ordnung und wir könnten gegen diese Bande klagen, die müssten uns den Lohn und eine Entschädigung zahlen.’ Wir verwarfen die Idee. ,Wir könnten versuchen, unser nächstes Konsulat aufzusuchen.’ Auch diese Idee fanden wir abwegig, zumal wir keine Ahnung hatten, wo wir

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