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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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entgegennahm, sich langsam setzte und ein Gebet murmelte.
    Dann gab uns der alte Mann eine Flasche, aus der er zuvor einen großen Schluck nahm. Der rote Saft lief ihm auf sein unrasiertes Kinn.
    Mein Durst machte mich fast zum Sünder, doch ich wollte standhaft bleiben und keinen Wein trinken. Lotfi aber, zu meiner vollen Überraschung, nahm einen ebenso kräftigen Schluck aus der Flasche und sagte nur: ‚Istaghfiru Allah’ – Gott vergebe mir! Ich sagte ihm, dass er sich soeben zum Nichtmoslem gemacht habe: Er habe Schweinefleisch und Alkohol eingenommen. Er antwortete in aller Seelenruhe: ‚Mein armer Freund, du bist dran, dich zum Nichtmoslem zu machen. Gott will, dass ich zuerst lebe, dann ihm diene, umgekehrt ist es wohl schwierig. Kennst du dich denn nicht aus mit deinem Glauben? Lies den Koran, mein Freund, und du wirst sehen, dass er uns in der Not auch das erlaubt.’

    Ich wollte immer noch nichts davon wissen. Ich versuchte wieder mit Händen und Füßen, diesem grimmigen, aber liebenswürdigen Bauern, der uns mit Abscheu, aber auch mit Mitleid ansah, zu erklären: ‚Latte, Muhh …’
    Er gab mir laut lachend einen Becher.
    Ich ging auf die grasenden Kühe zu. Ihr werdet denken, wie können Kühe im Winter grasen? Ihr seid eben unwissend. Sogar in jenem kalten Februar war das Gras in Fülle vorhanden. Ich ging also auf sie zu. Meine Erfahrung mit Melken begrenzte sich auf eine Ziege, die wir immer zu Hause hatten. Kühe, das stellte sich heraus, waren schwerer zu melken. Bei der Ziege konnte ich eines ihrer Beine in meinen Beinwinkel einklemmen. Macht das mit einer Kuh … Unmöglich! Der Bauer hörte nicht mehr auf zu lachen und zu grölen, bis mich die Kuh mit einem Stoß umkippte. Dann kam er mir zu Hilfe. Er füllte einen Becher Milch, den ich in einem Zug austrank. Ich dachte, sie wäre schön kühl, bei diesen Temperaturen, aber die Milch kam aus dem Körper der Kuh und dampfte leicht im winterlichen Tag.
    Als wir uns genug gestärkt hatten, wollte ich dem Bauern einen oder zwei Euro geben. Aber er sagte nur: ‚Eh oh, no, dai!’ Daraufhin bedankten wir uns mit einem wortlosen Nicken und verschwanden.
    Ein Weg führte in ein kleines Tal, dort erkannten wir eine Straße, die ja wohl irgendwohin führen musste. Unterwegs unterhielt mich Lotfi. Ich weiß heute noch nicht, ob er sich von seiner Krankheit ablenken oder meine Angst und mein Bangen zerstreuen wollte.

    ‚Weißt du, dass wir nicht die ersten Tunesier sind, die hier herumwandeln?’
    ‚Wie meinst du das?’
    ,In Geschichte bist du wohl auch nicht blendend, was? Einer unserer Vorfahren war schon mal wie wir in dieses Land gekommen.’
    ‚Du meinst Hannibal?’
    ‚Wen denn sonst? Seither sind alle nur hierher geflogen. Er war der Erste, der zu Fuß in Richtung Rom zog. Er hatte keine Angst wie wir zwei Hasen. Und er nahm nicht diesen einfachen Weg. Er kam von oben, verstehst du? Er überquerte die Alpen und marschierte monatelang auf Rom zu. Fast hätte er sie gehabt, der Teufelskerl. Fast wären wir hier zu Hause. Und dann müssten wir nicht um einen Becher Milch und ein Stück Brot betteln. Das war ein komischer Kauz, dieser Bauer.’
    Wir mussten unweigerlich lachen. Aber Lotfi musste laut und lange husten, er hatte irgendetwas. Als ich ihn fragte, was los sei, sagte er nur: ‚Ich glaube, ich schaffe es nicht mehr weit mit dir, mein Freund. Es muss eine akute Lungenentzündung sein. Ich kann kaum mehr stehen, ich fühle mich so schwach.’ Dann sackte er ab wie ein Zementsack, den man umkippt. Ich habe noch nie im Leben jemanden so fallen sehen, einfach unkontrolliert, ich konnte ihn nur noch im letzten Moment daran hindern, mit dem Kopf auf dem Straßenrand aufzuschlagen. Dabei war ich so froh, dass wir endlich eine Straße erreicht hatten.

    Es war Nachmittag. Aber die Straße schien nicht sehr befahren zu sein. Ich setzte mich an den Straßenrand und nahm Lotfi so zwischen meine Beine, dass ich seinen Rücken an meine Brust drückte, um ihn zu wärmen. Ich fühlte die Glut in seiner Brust und um seinen Bauch. Er hatte kalten Schweiß. Und das war mir mal als Kind erzählt worden: Wenn jemand kalt schwitzt, dann geht es nicht mehr lange mit ihm. Ich umarmte und umklammerte ihn, wippte mit meinem Körper, um ihn zu beruhigen. Er fing an zu zittern und wirres Zeug zu erzählen. Ich hielt Ausschau nach einem Fahrzeug. Dieser Mann hatte mir wahrscheinlich das Leben gerettet, einfach indem er mit mir unterwegs war, jetzt wollte ich

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