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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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sterben lassen und ihn im italienischen Wald begraben.«
    »Du spinnst doch. Ich glaube nicht, dass er stirbt, der Mann schmückt uns die Geschichte schön aus, damit wir nicht einschlafen, ein guter Erzähler, in der Tat. Aber es handelt sich hier nicht um eine Tragödie.«
    Ahmed gewährte diese kurze Pause. Dann fuhr er fort:
    »In dem Moment, als ich schon ein Gebet aussprechen und meinen Freund verabschieden wollte, da sah ich in der Ferne zwei Lichter: ein Auto. Ich dachte unweigerlich an Abraham und an Moses, denen Gott im letzten Moment eine Hilfe schickte. Dem einen gab er ein Lamm, damit er nicht seinen eigenen Sohn töten musste, dem anderen öffnete er das Meer, ließ ihn und das Volk Israel passieren und ertränkte den Pharao und seine Gefolgsleute. Ich konnte nur noch sagen: ,El hamdu lilläh – gepriesen sei Gott.’

    Das Auto hielt, als ich fuchtelnd mitten auf der Straße stand und dabei auf meinen liegenden Freund zeigte. Nun muss ich euch aber eins sagen: Würde ich das hier in Tunesien machen, dann würden die Leute noch die Piste benutzen, um mir auszuweichen, nicht weil sie grundsätzlich schlecht sind, sondern weil die Hilfesuchenden schlecht sein könnten und vielleicht nur Theater spielen, um ein Auto anzuhalten und es auszurauben. Nicht in Europa, Freunde, dort leben saubere Leute, versteht ihr. Das erste Auto hielt. Ein Pärchen in unserem Alter. Sie fuhren uns in die nächste kleine Stadt, wo ein Spital war. Sie blieben so lange, bis Lotfi von einem Arzt und einer Krankenschwester entgegengenommen und auf einem fahrenden Bett in einen Saal gebracht wurde.
    Ich wartete. Ich dachte nach. Ich wollte endlich wissen, was schiefgegangen war. Aber ich hatte keine Zeit. Die Schwester kam heraus und sagte, dass mein Freund eine Pneumonie hätte. Er müsse ein paar Tage hierbleiben. Ich solle verschiedene Formulare ausfüllen. Sie würde sie mir sofort bringen.
    Als sie verschwand, war ich allein im Flur. Ich wollte abhauen. Bei Allah dem Allmächtigen, ich wollte alles hinter mir lassen und verschwinden. Lotfi war in guten Händen, was auch immer passieren mochte, er war in Sicherheit. Ich musste aber zusehen, dass ich weiterkam. Durch die dicken Fenster des Spitals sah ich plötzlich Blaulicht. Ich dachte an eine Ambulanz, natürlich, es war ja ein Spital. Aber die Lichter waren anders, es war nur eine Lampe und die lag ziemlich tief, nicht wie bei einem Kastenwagen. Die Polizei also …

    Ich rannte in das Zimmer, in dem ich meinen Freund vermutete. Zuerst geriet ich in einen falschen Raum. Darin lagen zwei Personen älteren Jahrgangs, leicht atmend, an Maschinen gebunden, mit piepsenden Geräten und Moni toren. Ich schloss schnell die Tür wieder und machte die nächste auf. Lotfi lag zufrieden da. Er lächelte mich an.
    ‚Danke, mein Freund, du hast mir das Leben gerettet. Hier ist aber meine Endstation.’ Er kam mir mit diesen Worten entgegen. Denn ich hielt seine Hand und verabschiedete mich von ihm. Er sagte mir noch: ‚Gott wird dich nicht verlassen. Denk daran. Die Probe ist noch lang und hart, aber du wirst sie bestehen. Das Leben ist ein ewiges Auf und Ab. Nach der Nacht kommt der Tag, nach der Dunkelheit das Licht, nach der Schwäche die Kraft. Halt durch, es ist alles nur eine Frage des Glaubens und Willens. Gib nicht eine Minute zu früh auf, versprich!’
    Ich versprach.
    Er redete wie mein Vater. Aber er fixierte mich mit seinem klaren, stechenden Blick. Wir umarmten uns lange und still. Dann verschwand ich. Auf meiner Flucht sah ich schon die Schwester den Polizisten sagen: ‚Eben saß er noch hier, ich schwöre es.’
    Ich wusste, die Stadt würde mich beschützen, verstecken, mich in der Menge ihrer Einwohner untertauchen lassen. So war ich beruhigt, als ich die ersten Straßenschilder las: Via Roma, Viale del Ponte, Piazza del Mercato. Zuerst ging ich durch ein Wohnquartier. Ich beneidete die Menschen um ihre warmen Stuben, aus denen zartes Licht kam, um ihre Küchen, die nach Essen und Kaffee duften mussten, um ihre Sessel, in die sie sich setzten und in Gedanken versanken. Es war noch früh am Abend, aber schon stockdunkel. Auf meinem Weg nach nirgendwo sah ich die ersten Läden, Bäckereien mit feinsten Süßigkeiten im Schaufenster, beleuchtet, obwohl schon geschlossen. Dann Metzger, wieder Bäckereien und Cafés. Ich hatte schon eine Telefonkabine ausgemacht, die abseits stand, in der ich heute die Nacht verbringen würde. Aber ich musste warten bis mindestens

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