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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Baumkrone über ihnen raschelte es leise, und eine Handvoll Schnee rieselte zu Boden.
    Jedenfalls könne sich der Herr Ober sicherlich erinnern, sagte Franz, wie er und dieses böhmische Mädel vor gar nicht allzu langer Zeit hier unter dieser Kastanie ein paar Bier getrunken und getanzt hätten. Sehr schön sei sie. Ziemlich rund, mit sonnenblonden Haaren, einer zart gewölbten Oberlippe und einer wie von Gottes Hand gemeißelten Zahnlücke.
    Der Kellner zuckte mit den Schultern. Das mit der Erinnerung sei so eine Sache, sagte er und betrachtete traurig die kleine Schneekappe auf seinen Schuhspitzen. Franz seufzte und zog einen weiteren Schein aus seiner Manteltasche.
    Ach ja, sagte der Kellner, komisch, aber jetzt fiele es ihm wieder ein, da war doch so eine dicke Böhmin.
    Rund, sagte Franz, rund, nicht dick.
    Von mir aus, sagte der Kellner. Und weiter?
    Die Adresse, antwortete Franz, ob der Herr Ober eine Adresse von ihr habe. Oder den Namen. Oder sonst irgendetwas. Immerhin habe er sie ja gekannt, das sei ja offensichtlich gewesen.
    Als Praterkellner kenne man halt viele Leute, entgegnete der Kellner, da sei es schwer.
    Franz steckte ihm seinen letzten Schein in die Schürze. Ob es jetzt vielleicht ein bisschen leichter sei?
    Der Kellner lächelte. Warum es eigentlich ausgerechnet so eine ausgefressene Landpomeranze sein müsse, wollte er wissen, schließlich gäbe es im Prater noch ganz andere Möglichkeiten, da könne man sicher etwas arrangieren.
    Rund, sagte Franz mit starrem Blick, rund, nicht ausgefressen.
    Ob rund oder ausgefressen sei ja nur Definitionssache, meinte der Kellner, aber so oder so: Billig bleibe halt billig.
    Da platzte etwas in Franz. Mit einem unterdrückten Schrei warf er sich auf den Kellner und begann auf ihn einzuschlagen. Der Schnauzbart duckte sich weg, tänzelte zwei Schritte zur Seite, einen zurück, wieder einen nach vorne und fuhr eine blitzschnelle Gerade aus. Der Schlag traf Franz genau am Nasenansatz, ein hohler Ton erklang, und ein Schatten senkte sich auf ihn und bedeckte alles mit einer stillen Dunkelheit.
    Zwei Sekunden später war Franz wieder bei Bewusstsein. Er lag auf dem Rücken und blickte direkt in das schnauzbärtige Kellnergesicht über sich.
    Ein bisserl sei er ja aus dem Training, sagte der Kellner gutmütig, aber für so einen dahergelaufenen Bauernschädel würde es gerade noch reichen. Ob er ihm aufhelfen solle?
    Danke nein, antworte Franz und blieb liegen.
    Der Kellner sagte, man müsse ja nicht immer gleich rabiat werden, wenn es um die Weiber geht.
    Nein, das müsse man wahrscheinlich nicht, sagte Franz.
    Der Kellner blickte ihn väterlich streng an. So ein Blödsinn aber auch!
    Franz nickte. Ob er jetzt vielleicht doch die Adresse oder den Namen haben könne?
    Stur wie ein steirischer Ochs, meinte der Kellner kopfschüttelnd.
    Wie ein oberösterreichischer, sagte Franz, während sich in seinem Mund der süße Geschmack von Blut ausbreitete.
    Von mir aus, sagte der Kellner. Auf seinem dicht behaarten Kopf hatte sich mittlerweile eine kleine Schneehaube gebildet, die seinem Aussehen etwas Großväterliches gab. Aus dem Gastraum drang das Stimmengewirr seiner Kollegen. Gelächter. Jemand stimmte ein Lied an. Dann war es wieder ruhig. Der Kellner seufzte.
    Gar nicht weit von hier im zweiten Bezirk, sagte er, das gelbe Haus in der Rotensterngasse. Immer den Ratten folgen, links ein Schutthaufen, rechts ein Schutthaufen. Dort könne der junge Herr einmal nachschauen, wenn es denn unbedingt sein müsse.
    Dankeschön, sagte Franz.
    Gern geschehen, sagte der Kellner. Er hüpfte ein paar Mal auf und ab, klopfte sich den Schnee von den Schultern und fuhr sich mit den Fingern durch den Schnauzbart.
    Das mistige Wetter habe hoffentlich bald ein Ende, so könne das ja nicht weitergehen.
    Franz nickte.
    Jetzt müsse er aber wirklich wieder hinein, meinte der Kellner, den ganzen Sonntag unter einer zugeschneiten Kastanie herumstehen, könne nämlich auch nicht Sinn der Sache sein.
    Genau, sagte Franz, auf Wiedersehen.
    Auf Wiedersehen.
    Nachdem der Kellner im Gastraum verschwunden war, blieb Franz noch eine Weile liegen und blickte ins Schneetreiben hinauf. Schon nach kurzer Zeit schien es ihm, als ob nicht die Flocken auf ihn zugeflogen kämen, sondern als ob er selbst es sei, der vom Boden abhöbe und mit zunehmender Geschwindigkeit davonraste, immer höher und höher dem weiten, stillen Himmel entgegen.
    Das gelbe Haus in der Rotensterngasse war eine abrissreife

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