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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Hände seinen nackten Hintern packten und ihn mit sich zogen. »Komm, Burschi!«, hörte er sie flüstern und mit einem Lächeln ließ er los.
    Und hätte sich ein paar Stunden später in dieser eisigen Nacht irgendjemand aus irgendwelchen Gründen noch draußen im Freien aufgehalten, so hätte er vielleicht gesehen, wie die Tür der alten Trsnjek-Trafik aufgerissen wurde und zwei nackte Gestalten, ein dünner junger Mann und eine rundliche junge Frau, ins Freie purzelten, sich eine Weile kreischend mit Schnee bewarfen, dann ein kurzes Stück die Währingerstraße hinunterstürmten und sich schließlich ungefähr auf der Höhe des Pelzmodengeschäftes der alten Frau Sternitzka mit weit ausgebreiteten Armen und Beinen nach hinten in einen großen Schneehaufen fallen ließen. Aber natürlich befand sich um diese Uhrzeit und bei diesem Sauwetter niemand mehr auf der Straße. Niemand konnte beobachten, wie Franz und Anezka keuchend nebeneinander lagen und in den Himmel hinaufschauten. Und niemand konnte das kurze Gespräch belauschen, welches Franz mit einer Frage eröffnete, die seit einigen Minuten in seinem langsam wieder auskühlenden Kopf herumschwirrte: »Warum bist du damals weggelaufen im Schweizerhaus?«
    Anezka streckte ihren Arm in die Höhe und zeichnete mit den Fingern die Konturen der umliegenden Dächer nach. Mittlerweile hatte es fast vollständig aufgehört zu schneien, dunkle Wolkenfetzen zogen über den Himmel, und hinter einem Schornstein schimmerte schwach das Mondlicht hervor.
    »Manchmal muss weglaufen, manchmal muss bleiben«, sagte sie. »So ist Leben.«
    »Das kann ja sein …«, setzte Franz zu einer schwächlichen Entgegnung an, doch schon währenddessen hatte ihre Hand in der Luft eine elegante Drehung vollführt und war gleich darauf blitzschnell und zielgenau herabgestoßen, um seinen Schwanz zu packen. »Nicht so viel reden«, sagte sie, »lieber noch einmal vögeln.« Sie sagte natürlich nicht »vögeln«, sondern »veegeln«, mit einem sehr lang gezogenen, böhmischen »e«. Aber Franz verstand sie trotzdem ganz genau.
    Franz’ sexuelle Erlösung bedeutete nicht gleichzeitig eine Besserung seines Gesamtzustandes. Das Feuer, das jetzt zwischen seinen Schenkeln entzündet war, brannte lichterloh und würde nie mehr zu löschen sein, so viel war ihm klar. Dabei – und auch das war ihm auf schmerzhafte Weise bewusst geworden – gab es noch so viel zu lernen. Zu kurz war diese eine Nacht gewesen, selbst ein komplettes Leben schien nicht auszureichen, um das Mysterium Frau in seiner ganzen schrecklichen Schönheit begreifen zu können. An den Klippen zum Weiblichen zerschellen selbst die Besten von uns, hatte der Professor gesagt. Das wird schon so sein, dachte Franz, aber dann ist es halt so. Mochte er eben zerschellen – solange es nur an Anezkas steiler Küste geschah. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Er wollte weitermachen, weiterüben, weiterlernen. Unter allen Umständen wollte er wieder bei ihr liegen, ihren wunderbaren Duft in der Nase und ihre Hände auf seinem lernwilligen Hintern.
    Und deshalb machte er sich schon am nächsten Abend auf den Weg zum gelben Haus in der Rotensterngasse, ging durch den stinkenden Flur, über die bröckeligen Stiegen, vorbei an der alten Frau mit dem leise schnaufenden Schwein und hinauf in die auch diesmal mit Böhminnen überfüllte Wohnung. Doch Anezka war nicht da. Am Tag darauf auch nicht. Und auch nicht am nächsten Wochenende. Oder am übernächsten. Anezka nicht da, Anezka fort, Anezka weg, Anezka irgendwo, Anezka arbeiten, sagten die Frauen, die sich gerade in der Wohnung aufhielten und übrigens nie die gleichen zu sein schienen. Wo oder für wen sie arbeitete, konnten sie nicht sagen, wussten sie nicht, wollten sie nicht wissen, und Franz zog wieder ab, mit seinem ölig glänzenden Scheitel und der teuer in einem innerstädtischen Bonbonfachgeschäft erstandenen Schachtel Schokoladenpralinen unterm Arm. Tagsüber saß er kreidebleich auf seinem Hocker und gab vor, Zeitung zu lesen. Nachts wälzte er sich im Bett und vergrub sein Gesicht in das Kissen, auf dem sich noch vor Kurzem ihre Haare wie sonnige Strahlen ausgebreitet hatte. Die Schlafphasen waren kurz und von wirren Träumen durchrast. Manchmal befolgte er den Ratschlag des Professors und versuchte, sein wild gewordenes Seelenleben zu bändigen, indem er seine Träume gleich nach dem Aufwachen aufschrieb. Es nutzte nichts. Es half nichts. Es nutzte und half alles nichts. Es war,

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