Der Trafikant / ebook (German Edition)
Genehmigung, wie übrigens auch die anderen Frauen aus dem gelben Haus: »Alles Behminnen. Scheene, brave Frauen, alle miteinander!«
Sie knirschten nebeneinander durch die schneebedeckten Straßen, und Franz erzählte von daheim, wo der See die Farbe mit den Jahreszeiten wechselte: im Frühjahr war er dunkelgrün, im Sommer silbrig, im Herbst tiefblau und im Winter schwarz wie das Herz des Teufels. Und er erzählte von den Kühen, deren Fladen so groß waren, dass man als Kind bis zu den Knien darin einsinken konnte, und von den Fischen, die er als kleiner Bub aus dem Wasser gezogen hatte und die so fett waren, dass nur ein einziger von ihnen ausreichte, um eine komplette Holzfällerbrigade satt zu kriegen. Er beschrieb ihr die Ausflugsdampfer, die im Sommer tagtäglich mit ihrem bunten Touristendurcheinander auf dem Deck durchs Wasser stampften und mit denen die Kinder nach der Abfahrt um die Wette kraulten, und er schilderte ihr die im gesamten Salzkammergut berühmten Erdäpfelstrudel seiner Mutter, deren Teig sie in den Wintermonaten auf dem Tisch walkte, um ihn dann in der großen Eisenpfanne in Gänseschmalz zu backen und zu einem goldgelben, dampfenden, duftenden Berg aufzuhäufen. Von diesen und noch von ganz anderen Dingen erzählte Franz. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus und breiteten ein derartig wunderbares Panorama vor ihnen aus, dass sich ihr Spaziergang durch die fast menschenleeren Straßen hinzog, bis die Nacht hereinbrach und die Gaswerker ihre Leitern bestiegen, die Schneehauben von den Laternen kehrten und überall die Lichter durch das Schneegestöber zu schimmern begannen.
An einem kleinen Wirtshaus blieb Anezka stehen. »Jetzt essen!«, sagte sie und ging hinein. Franz bestellte zwei Portionen Gulasch und eine Flasche vom ausländischen Wein, der so gut war, dass sogar der Kellner seinen Namen nicht aussprechen konnte. Das Gulasch war würzig und heiß, die Gurken knackten, und die Semmeln knisterten. Noch nie hatte Franz einen Menschen mit solcher Hingabe essen gesehen. Und noch nie hatte er einem Menschen so gerne beim Essen zugesehen. Er bestellte eine zweite Portion und dann eine dritte. Danach gab es Palatschinken mit Schokoladenfüllung und einer dicken Schicht Staubzucker sowie eine zweite Flasche Wein. Als schließlich das letzte Palatschinkenfleckchen mit dem letzten Schluck Wein hinuntergespült war, lehnte sich Anezka mit einem langgedehnten Seufzer zurück, verschränkte die Hände vor ihrem Bauch und sah Franz mit trägem Blick an.
»Und jetzt will ich dich, Burschi!«, sagte sie.
Der Verkaufsraum lag still im bläulichen Schneelicht, das durch die wenigen freien Stellen in den überklebten Auslagenscheiben hereinfiel. Nachdem Franz die Tür hinter ihnen zugezogen hatte, hielt Anezka ihre Nase schnuppernd in den Raum und sog tief den Geruch von Tabak und Papier ein. Mit einer höflichen, gleichzeitig aber auch weltmännisch-gelassenen Geste wollte Franz ihr den Weg in sein Kämmerchen weisen, doch da spürte er ihre Hand an seinem Hintern, genau an der Stelle, wo sie schon einmal gelegen hatte, damals, vor unendlich langer Zeit beim Tanz im Schweizerhaus. Sofort begann sein Herz wie verrückt zu klopfen, und eine brennende Hitze stieg in ihm hoch. Irgendetwas wollte er fragen, etwas ungeheuer Dringliches, etwas unerhört Wichtiges, etwas, das ihm auf der Zunge prickelte, aber da lag auch schon ihre andere Hand an seiner Hinterbacke und ihre Hüfte drängelte sich gegen seine, und in seinem Kopf verdampften die Worte wie Tropfen auf dem heißen Herd. Sie sah ihm in die Augen und näherte ganz langsam ihr Gesicht, und als er ihren Atem an seinem Mund spürte und das zarte Zittern ihrer Oberlippenwölbung sah, durchlief ihn ein derart heftiger Wonneschauer, dass er mit ziemlicher Sicherheit rückwärts ins Zigarrenregal gekippt wäre, wenn ihn Anezka nicht im letzten Augenblick gehalten und fest an ihren Körper gedrückt hätte. Er schloss die Augen und hörte sich selbst einen gurgelnden Laut ausstoßen. Und während die Hose an seinen Beinen herunterrutschte und damit alle Last seines bisherigen Lebens von ihm abzufallen schien und er den Kopf in den Nacken legte und in die Dunkelheit unter der Decke hinaufblickte, hatte er für einen seligen Moment das Gefühl, die Dinge der Welt in ihrer unermesslichen Schönheit begreifen zu können. Schon komisch, dachte er, das Leben und diese ganzen Sachen. Dann spürte er, wie Anezka vor ihm auf den Boden glitt, wie ihre
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