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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Glas, und für einen Moment sah es aus, als würden seine Flügel glühen. Er stürzte ab wie ein kleiner Schatten, der vom Himmel fällt.
    Die Grotte leerte sich nur allmählich. Ein Mann nach dem anderen trat ins Freie und torkelte durch die schmale Bretterzaungasse seinen alkoholvernebelten Fantasien hinterher. Niemand schien Franz zu bemerken, auch nicht die Echse und das Narbenmädchen, die kurz hintereinander das Etablissement verließen. Als Letzte kamen Anezka und der Conférencier heraus. Er schloss ab, legte seine Hand an ihre Wange, strich mit dem Daumen kurz unter ihrem Auge entlang und sagte irgendetwas. Sie lachte leise auf und steckte sich eine Zigarette an. In diesem Moment sprang Franz von der Tonne. Der Mann bückte sich blitzschnell, fasste unter sein Hosenbein und zog ein schmales Messer aus einem an seiner Wade befestigten Lederetui.
    »Bleib stehen«, sagte er ruhig, »sonst schlitz ich dich auf. Und zwar vom Gürtel bis zum Kinn und wieder zurück!«
    Die Klinge schimmerte matt im Schein der Glühbirne. Eine Weile war es still im Hinterhof. Nur in einer der Mülltonnen raschelte es leise.
    »Stecks weg, Heinzi«, sagte Anezka, »ich kenn den.«
    Der Conférencier zögerte kurz, ließ dann aber sein Messer wieder unter dem Hosenbein verschwinden.
    »Ist jetzt gut, Heinzi«, sagte sie, »muss ich sprechen mit ihm!« Er schien einen Augenblick nachzudenken. Schließlich trat er einen Schritt an Franz heran und blickte ihm direkt in die Augen. An seinem linken Ohrläppchen glänzte ein geschliffener Stein, der von innen heraus wie von einer winzigen blauen Flamme erleuchtet schien. Sein Rasierwasser roch nach Lavendel.
    »Du, ich kenn dich nicht«, sagte er leise. »Und es wär auch gescheiter, wenn wir uns nie kennenlernen. Hast mich verstanden?« Franz nickte.
    »Dann ist es gut«, sagte Heinzi. Er warf Anezka einen schnellen Blick zu und entfernte sich durch die Gasse.
    Anezka öffnete den Mund und ließ langsam den Zigarettenrauch entweichen. Für ein paar Augenblicke verschwand ihr Gesicht hinter einem bläulichen Schleier.
    »Was machst da, Burschi?«
    Franz zuckte mit den Schultern. »Hab mir das Programm angeschaut.«
    »War scheen?«
    »Geht so. Ist die Feder echt?«
    »Genauso echt wie Haare.«
    »Und er?«
    »Was ist mit er?«
    »Wer ist das?«
    »Monsieur de Caballé.«
    »Ich hab gedacht, er heißt Heinzi!«
    »Auf Bühne heißt Monsieur de Caballé. Draußen heißt Heinzi. So ist Showgeschäft, Burschi!«
    »Aha. Und was macht er so?«
    »Hast du geschaut. Macht Programm.«
    »Programm?«
    »Programm und Spaß und Kabarett.«
    »Und sonst?«
    »Was sonst?«
    »Was macht er nach der Vorstellung? Immer noch Programm und Spaß und Kabarett – mit dir zusammen vielleicht?«
    Anezka zuckte mit den Schultern, suchte kurz mit ihrer Zunge im Mund herum und spuckte dann ein hellbraunes Tabakbrösel aufs Pflaster.
    »Ist Kollege, verstehst du.«
    »Natürlich versteh ich!«, rief Franz aus, »ich versteh sogar sehr gut! Ich hab ja gesehen, wie ihr beiden Turteltauberln aus eurem Verschlag geflattert seid!«
    »Geflattert?«
    »Geflattert! Und eines ist ja wohl sowieso klar: Der Herr de Caballé hat nicht nur ein Messer in seiner Hose, stimmts?«
    »Manche haben was in Hose, manche nicht!«
    »Was soll denn das heißen?«
    »Wer bleed fragt, kriegt bleede Antworten, Burschi!«
    »Ich heiß nicht Burschi, ich heiß Franz!«, schrie Franz und trat mit solcher Wut gegen eine Mülltonne, dass die laut scheppernd umkippte, in einem weiten Bogen über den Hof kollerte und erst knapp vor der gegenüberliegenden Wand zum Stillstand kam.
    »Schleich dich, Heinzi!«, sagte Anezka ruhig. Ihr Blick lag auf dem Gassenausgang, wo für einen Moment der Schatten des Conferenciers aufgetaucht war und sich jetzt langsam wieder zurückzog. Franz starrte auf die stinkende Drecksspur, die die Tonne hinterlassen hatte.
    »Gehörst du zu ihm?«, fragte er düster.
    »Ich geheer zu keinem. Nicht einmal zu mir selber!«
    Franz sah auf seine Schuhe hinunter. Das Leder war abgewetzt und rissig, und an den Kuppen begannen sich schon die Nähte zu lösen. Plötzlich fühlte er, wie irgendwo in ihm eine kleine Bosheit aufstieg und sich mit aller Macht vor seine Verzweiflung drängelte.
    »Ich geb dir fünf Schilling, wenn du mir noch einmal deinen Hintern zeigst!«, sagt er. »Unter der Glühbirne sieht der sicher auch nicht schlecht aus!«
    Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, kam er sich vor wie ein Idiot. Ein dummer

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