Der Trafikant / ebook (German Edition)
lief in langen, glatten Strähnen über Schultern und Rücken. An einem ledernen Stirnband war eine Feder befestigt. Ihre nackten Arme hatte sie in die Hüfte gestemmt, die Hände ruhten am Saum eines kurzen, bunt bestickten Fransenrocks. Sie war barfuß, und um die Fußgelenke waren schmale Lederbänder gewickelt, an denen winzige Glasperlen glitzerten. Ihre Beine glänzten im Licht. Es waren feste Beine, glatt, rosig und rund. Doch es waren vor allem die Kniekehlen, an denen er sie erkannte. In diesen Kniekehlen hatte er vor gar nicht allzu langer Zeit noch sein Gesicht vergraben, hatte sie mit der Zungenspitze Millimeter für Millimeter abgetastet, um sich dann auf die Reise in höher gelegene Gebiete zu begeben. Diese Kniekehlen waren weicher als alles, was Franz bisher kennengelernt hatte. Weicher als der See an einem stillen Spätsommertag, weicher als das Moos im Nußdorfer Süduferwäldchen und weicher sogar als die Hand seiner Mutter, die früher so oft an seiner Wange gelegen hatte, zum Trost, zur Belohnung oder einfach nur so, eine kurze Berührung, wie zufällig, im Vorübergehen.
Die Stimme aus dem Grammofon würgte ein raues Schluchzen hervor und im selben Moment fing Anezka an, sich zu bewegen. Zuerst war es nur das Wippen eines Fußes, dann begannen ihre Beine zu zucken, und gleich darauf schaukelte ihr Hintern sanft auf und ab. Sie hob ihre Arme und schwang sie langsam über dem Kopf. Die Trommelschläge aus dem Grammofon schienen ihren Körper direkt zu treffen, jeder Takt ein neuer kleiner Einschlag. Plötzlich drehte sie sich um. Ihr Gesicht war mit gelben und roten Streifen bemalt. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet und verlor sich irgendwo über den Köpfen der Männer. Ihr Haar bedeckte ihre Brüste vollständig. Sie warf den Kopf in den Nacken, lachte zum Scheinwerfer hinauf und breitete die Arme aus, als wollte sie das Licht umarmen. Dann fing sie an, im trägen Rhythmus der Musik zu stampfen. Die Glasperlen an ihren Füßen klickerten und die Feder auf ihrem Kopf hüpfte im Takt. Franz sah, wie ein einzelner Schweißtropfen unter ihrem Haaransatz hervorschlüpfte, die Stirn hinunterlief und an einer der pechschwarz gefärbten Augenbrauen hängenblieb. Die Zuschauer wurden immer unruhiger, ein Mann begann mit beiden Händen auf seine Schenkel zu schlagen, aus dem Halbdunkel einer Nische drang ein heiseres Husten. Anezka stampfte auf die Bretter, dass sich der Staub zu kleinen Wölkchen verwirbelte, doch im nächsten Augenblick hatte sich ihr Körper wieder beruhigt, wiegte und schaukelte sacht hin und her. Plötzlich fasste sie mit beiden Händen in ihr Haar, teilte es und ließ es auf beiden Seiten über die Schultern nach hinten fallen. Es war eine einfache Bewegung, so selbstverständlich wie das Öffnen eines Vorhangs, doch die Wirkung war enorm. Einige Männer lächelten blöde. Andere erstarrten. Einer lachte hell auf. Ein anderer ließ sich wie von einer schweren Last befreit nach hinten gegen seine Stuhllehne fallen. Franz starrte auf Anezkas Brüste. Noch vor Kurzem hatte er mit dem Gesicht zwischen ihnen gelegen, hatte glücklich in diese unendlich zarte Mulde hineingeschnauft und sich auf merkwürdige Art zuhause gefühlt. Jetzt prangte ihr Busen in aller Öffentlichkeit herum. Ein Allgemeingut. Eine Sehenswürdigkeit. Das Schlimmste aber war, dass sie es zu genießen schien. Sie räkelte sich im Licht und schaukelte ihre Brüste, als wäre es eine angenehme Selbstverständlichkeit. Und vielleicht war es das ja auch. Mit einem koketten Lachen warf sie den Kopf abermals in den Nacken, drehte sich um, fasste sich an ihren Fransenrock und lüftete ihn langsam. Es war, als ob der Mond aufginge, raunend begrüßt oder still angestaunt von den Gestalten hinter ihren Tischen, in der Sicherheit ihrer dunklen Nischen. Franz fühlte, wie sich sein Herz zu einem Knoten zusammenzog. Er nahm sein Bier, drückte das kühle Glas gegen seine Schläfe, stellte es wieder ab, legte einen Geldschein auf den Tisch und verließ die Grotte, ohne einen weiteren Blick auf die Bühne zu werfen.
Draußen war es unerwartet warm. Bald würde Frühling sein. Im Hof roch es nach feuchten Mauern und Abfall. Franz setzte sich auf eine der Mülltonnen und sah zu der schmutzigen Glühbirne hinauf. Ein kleiner Nachtfalter flatterte wie verrückt um sie herum. Manchmal schlugen seine Flügel gegen die Fassung oder gegen den Draht und erzeugten ein seltsam papierenes Geräusch. Doch dann berührte er das heiße
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