Der Trafikant / ebook (German Edition)
was ist denn jetzt mit mir?«, rief Franz aus. »Ich kann doch nicht bis an mein Lebensende in irgendwelchen Dunkelheiten herumstolpern und auf Nacktschnecken oder Träume treten! Sie haben ja gut reden, Sie haben die Libido längst überwunden, aber ich muss mich noch damit herumschlagen! Meine Hose platzt bald, und ich weiß nicht mehr weiter. Ich weiß nicht, ob ich Anezka wiedersehen soll. Ich weiß nicht, ob ich sie wiedersehen will . Ich weiß nicht einmal, ob ich sie wiedersehen kann . Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht!«
Wieder war er aufgesprungen und hatte mehrmals die Strecke zwischen dem Rosenbeet und der Bank durchmessen. »Herrschaftszeitennocheinmal, was soll ich denn bloß machen?«, fragte er schließlich mit ermatteter Stimme und ließ sich wieder zurück auf die Bank fallen. »Helfen Sie mir doch, Herr Professor!«
Freud hob seine Hände, betrachtete sie einen Augenblick im Sonnenlicht und ließ sie wieder in seinen Schoß sinken.
»Ich glaube, ich kann dir da nicht helfen«, sagte er. »Die richtige Frau zu finden ist eine der schwierigsten Aufgaben in unserer Zivilisation. Und jeder von uns muss sie vollkommen alleine bewältigen. Wir kommen alleine zur Welt, und wir sterben alleine. Doch gegenüber der Einsamkeit, die wir empfinden, wenn wir zum ersten Mal vor einer schönen Frau stehen, wirken Geburt und Tod geradezu wie gesellschaftliche Großereignise. In den entscheidenden Dingen sind wir von Anfang an auf uns selbst gestellt. Wir müssen uns immer wieder fragen, was wir möchten und wohin wir wollen. Anders gesagt: Du musst deinen eigenen Kopf bemühen. Und wenn dir der keine Antworten gibt, frag dein Herz!«
»Von meinem Kopf ist nicht viel zu erwarten«, murmelte Franz. »Und mein Herz liegt zerschlagen in einem Haus in der Rotensterngasse.«
»Es wird dir nichts anderes übrigbleiben. Wenn du weiterhin den Ratschlag alter Männer einholst, bekommst du auch weiterhin keine befriedigenden Antworten. Und wenn du den Inhalt deiner Hose befragst, wird die Antwort zwar eindeutig sein, aber zu nichts als Verwirrungen führen!«
»Hm«, meinte Franz und legte eine Hand an seine Stirn, um das wilde Durcheinander seiner Gedanken dahinter ein wenig einzudämmen. »Könnte es vielleicht sein, dass Ihre Couchmethode nichts anderes macht, als die Leute von ihren ausgelatschten, aber gemütlichen Wegen abzudrängeln, um sie auf einen völlig unbekannten Steinacker zu schicken, wo sie sich mühselig ihren Weg suchen müssen, von dem sie nicht die geringste Ahnung haben, wie er aussieht, wie weit er geht und ob er überhaupt zu irgendeinem Ziel führt?«
Freud hob die Augenbrauen und öffnete langsam den Mund.
»Könnte das sein?«, wiederholte Franz. Freud schluckte.
»Warum sehen Sie mich denn so komisch an, Herr Professor?«
»Wie sehe ich dich denn an?«
»Ich weiß nicht. Als ob ich etwas unglaublich Blödsinniges gesagt hätte.«
»Nein, das hast du nicht. Das hast du ganz und gar nicht.«
Freud versuchte ein Lächeln, strich sich dann zerstreut mit den Fingern durch die Haare, nahm seinen Hut vom Knie, setzte ihn auf den Kopf und erhob sich von der Bank. »Ich glaube, für heute haben wir genug geredet. Bald geht die Sonne unter. Und wer kann schon sagen, ob sie jemals wieder aufgeht.«
Mit erstaunlich schnellen Schritten, zu denen sein Gehstock den Takt in den Kies schlug, ging der Professor in Richtung Ringstraße zurück. Eine Weile blieb Franz noch sitzen. Erst als der graue Hut endgültig hinter der Hecke verschwunden war, sprang er auf und rannte hinterher.
In der Berggasse verabschiedeten sie sich mit einem kurzen Händedruck. Freuds Finger fühlten sich trocken und leicht an. Wie Fischgräten, dachte Franz, wie die Gräten der vom Wurm befallenen Karpfen, die statt auf den Tellern der Wirtshausgäste bei den Katzen gelandet waren und deren Gerippe einem in den Händen zerbröselte, wenn man sie nach ein paar Wochen unter den havarierten Fischerbooten hervorzog.
Nachdem der Professor im Haus verschwunden war, legte Franz sein Ohr an die Tür und schloss die Augen. Das Holz war immer noch sonnenwarm, und drinnen verhallten Freuds Schritte im Stiegenhaus. Als er die Augen wieder öffnete und von der Tür zurücktrat, tat er die ersten Schritte noch ein bisschen zögerlich und vorsichtig. Aber bald schon marschierte er entschieden los, und zwar um die Ecke in das kleine Wirtshaus in der Türkengasse. Auf ein Gulasch und ein Seidel Bier.
Am Abend darauf
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