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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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mit kleinen Sprüngen hinter die Verkaufstheke zurück und setzte sich. Franz sah, wie er sich zurücklehnte und wie sein Gesicht langsam im Schatten hinter der Lampe verschwand.
    Auch in dieser Nacht war das Einschlafen mühselig. Wie immer in letzter Zeit. Seit seiner Ankunft in Wien hatte Franz trotz seiner allabendlich wiederkehrenden Erschöpfung Schwierigkeiten, den lieben Schlaf zu finden, der ihn in seinem Bett am See stets so selbstverständlich umfangen und davongetragen hatte. Nun lag er also wieder da, auf dem Rücken, mit hinter dem Kopf verschränkten Händen und offenen Augen, und horchte in die Dunkelheit hinein. Draußen hatte sich das mittlerweile schon zur Gewohnheit gewordene Tagesheulen in das ebenfalls schon gewohnte Nachtwimmern verwandelt, das beständig durch die Straßen zu ziehen schien und selbst bis zu ihm, ins Trafikantenkämmerchen wehte. Hin und wieder gluckerte es in den Mauern. Und vom Verkaufsraum drang manchmal ein leises Rascheln herein. Mäuse vielleicht, dachte Franz, oder Ratten. Oder die Geschehnisse des letzten Tages, die, bereits zu ihrer eigenen Erinnerung geworden, aus den Zeitungen herausraschelten. Eigentlich ist es ja schon merkwürdig, dachte er weiter, wie die Zeitungen ihre ganzen Wahrheiten in großen, dicken Lettern herausposaunen, nur um sie dann gleich in der nächsten Ausgabe wieder kleinzuschreiben, respektive über den Haufen zu werfen. Die Wahrheit der Morgenausgabe ist praktisch die Lüge der Abendausgabe, dachte er, was allerdings wiederum für die Erinnerung keine allzu große Rolle spielt. Erinnert wird nämlich meistens sowieso nicht die Wahrheit, sondern nur das, was laut genug herausgebrüllt oder eben fett genug abgedruckt wird. Und wenn so ein Erinnerungsrascheln irgendwann lang genug angedauert hat, dachte er schließlich, wird daraus Geschichte. Er strampelte sich die Decke vom Körper und streckte die Arme weit von sich. Aus der Matratze heraus hörte er sein Herz schlagen, dunkel und leise stampfend wie ein Schiffsmotor. Schön klingt das, dachte er, während er zusah, wie sich sein Körper langsam vom Bett löste. Es fühlte sich gut an, war jedoch nur ein kurzer Flug. Jemand rief ihm etwas hinterher, und unten in der Tiefe schnauften die Dampfer über den See. Die Fische zeigten ihre Bäuche, und auf den Wellen schaukelte sanft ein schwarzer Hut. Das Fähnchen am Horizont war wirklich nicht mehr zu übersehen. »Entschuldigen Sie, aber Ihre Mutter winkt!«
    Sein Herz pochte Franz wieder aus dem Schlaf, ein gleichmäßig lauter werdendes Pumpern. Inzwischen hatte er sich selbst einigermaßen erfolgreich dazu erzogen, seine Träume aufzuschreiben. Nacht für Nacht tastete er nach seinen Zündhölzern und kritzelte im flackernden Kerzenlicht einige verworrene Worte auf eines der karierten Schreibblätter, die er unter dem Bett deponiert hatte. Es war mühsam und zu Beginn brachte es nichts. Eigentlich tat er das nur dem Professor zuliebe und weil er insgeheim ein schlechtes Gewissen hatte, wenn er es nicht machte. Andererseits hatte sich gerade in den letzten Tagen doch auch eine gewisse Gewöhnung eingestellt. Oder eine Art Genugtuung über die eigene Überwindungsfähigkeit. Oder vielleicht sogar etwas wie ein kleines Erleichterungs- und Befriedigungsgefühl. So genau konnte Franz das nicht sagen, aber im Grunde genommen war ihm das auch egal. Er schrieb jetzt eben seine Träume auf und konnte danach – und das war immerhin der lohnenswerte Nebeneffekt des ganzen Aufwands – die nächsten Stunden friedlich, weil traumlos, schlafen.
    Ein Flug über den Attersee, schrieb Franz mit seiner dahinkrakelnden Kinderschrift, jemand schreit mir hinterher, die Dampfer sind schön, die Fische nicht. Der Professor hat anscheinend seinen Hut verloren, und von irgendwo weit weg winkt die Mutter herüber. Er legte Zettel und Bleistift unters Bett und blies die Kerze aus. Für ein paar Augenblicke flackerte es hinter seinen Lidern noch nach. Aha, dachte er, offenbar gibt es also nicht nur ein Erinnerungsrascheln, sondern auch ein Erinnerungsflackern. Er musste ein bisschen kichern. Seit er das Salzkammergut verlassen hatte, quetschte er Gedanken aus sich heraus, von denen er nie angenommen hätte, dass sie in ihm stecken könnten. Das meiste davon war wahrscheinlich ein unglaublicher Blödsinn. Aber irgendwie interessant. Er drehte sich zur Seite, schloss die Augen und spürte seinem eigenen Davontreiben hinterher.
    Fast genau drei Sekunden später saß er

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