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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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dieser Freud erstens ein Professor und zweitens ein Jud, und bei beidem konnte man bekanntlich nie so genau wissen. Mit Sicherheit aber war er der beste Postkunde im Abschnitt, dementsprechend hatte die Tasche nach dem Einwurf in der Bergasse 19 auch dieses Mal einen großen Teil ihres Gewichtes verloren, was die verbleibende Dienststrecke weit angenehmer und leichter zu bewältigen machte. Und als der Briefträger Heribert Pfründner schließlich in die Währingerstraße einbog und im klaren Frühmorgenlicht vor sich die magere Gestalt des jungen Trafikanten Franz Huchel ins Freie treten sah, da verspürte er in den Waden bereits dieses wohltuend kühle, federleichte Gefühl, das das nahende Ende der Schicht ankündigte.
    Die ganze Nacht hatte Franz sich durch wirres Traumgepolter gewälzt, ein rasendes Durcheinander aus Worten, Tönen und Bildern. Das Aufwachen war eine Erlösung, und obwohl sich schon mit dem ersten Wachblinzeln die Erinnerung aufzulösen begann wie eine Nebelschwade in der Morgendämmerung, bemühte er sich, das ganze Chaos wenigstens mit ein paar Worten aufs Papier zu bringen. Mit immer noch etwas verschleiertem Blick trat er kurz darauf vor die Trafik und klebte den Zettel an die Auslagenscheibe. Ein kurzer Schmerz blitzte in seinem Mund auf. Schon wenige Tage nach seinem letzten Besuch bei der Gestapo waren die Zunge und der Kiefer wieder abgeschwollen, und er hatte sich einigermaßen an das neue Loch im Mund gewöhnt. Insgeheim mochte er die Zahnlücke sogar, und während er mit der Zungenspitze daran herumspielte und die glatten Wände der Nachbarzähne und den weichen, warmen Boden des langsam verheilenden Zahnfleisches ertastete, dachte er an Anezka, an ihre Zähne, ihre Lücke, ihre rosige Zunge.
    »Heilitler! Darf ich?« Auf weichen Sohlen war der Briefträger von hinten herangetreten, beugte sich nun, gekonnt ein gewisses Interesse vorgebend, nah an die Auslage heran und las:
    17. Mai 1938
    Eine Straßenbahn bimmelt durch den Wald, die Hasenaugen sind dunkle Tropfen, in den Bäumen hängen Gondeln, und über den Wolken hockt die weiße Angst, etwas nagt an meinen Wurzeln, hätte man vielleicht die Glut löschen sollen?
    »Aha«, sagte der Briefträger und versuchte sich aus seiner leichten Erstarrung herauszuruckeln. »Interessant. Vor allem die Stelle mit dem Hasen!«
    »Ja«, sagte Franz. »Haben Sie Post für mich?«
    »Ach so, selbstverständlich«, nickte der Briefträger und holte aus seiner mittlerweile angenehm schlaffen Tasche das letzte Paket der Tagestour: eine längliche, in braunes Packpapier gewickelte und akkurat verklebte Schachtel. »Ich darf bitten: heute sogar ein behördliches Packerl!«
    Franz nahm das Paket und bedankte sich. Mit einem kurzen Grunzlaut, der wahrscheinlich wohlwollende Freundlichkeit vorstellen sollte, tippte sich der Briefträger an seine Mütze und machte sich leichten Fußes auf die letzten hundert Meter des Weges, seinen vorauseilenden und freudigen Gedanken an das erste Vormittagsbier hinterher.
    Franz trug das Paket hinein, legte es auf die Verkaufstheke und betrachtete es im Licht der kleinen Lampe. Die Sendung war an ihn persönlich gerichtet. An Herrn Franz Huchel, Geschäftsführung Tabaktrafik Trsnjek, Wien 9, Währingerstraße. Der Absender war amtlich blau gestempelt und lautete: Der Inspekteur der Sicherheitspolizei, Wien 1, Morzinplatz 4. Für einen Moment spürte Franz, wie sich in seinem Brustkorb das Wort »Geschäftsführer« zu einem angenehm warmen Gefühl des Stolzes ausweitete, dann riss er das Paket auf und öffnete die Schachtel. Ganz oben lag das Anschreiben, ebenso amtlich blau gestempelt, mit der Maschine getippt und undeutlich unterschrieben:

     
----
     
    Der Inspekteur der Sicherheitspolizei
    Wien 1, den ….. 16. Mai 1938 …..
    ………… L VII – 75 / 39 g …………
    Bitte in der Antwort vorstehendes Geschäftszeichen und Datum anzugeben
    An
    Herrn Franz Huchel
    Geschäftsführer der
    Tabaktrafik Trsnjek
    Währingerstraße
    Wien 9
    Betrifft: Rücksendung persönlicher (Wert-)Gegenstände
    Anlagen: 1
    Zur oben genannten Angelegenheit erlauben wir uns, Sie hiermit vom Ableben des Ihnen bekannten Trafikanten Herrn Otto Trsnjek in Kenntnis zu setzen. Herr T. ist in der Nacht zum 14. Mai in den Räumlichkeiten der Gestapo-Leitzentrale, Wien 1, Morzinplatz 4, seinem nicht näher zu bestimmenden Herzleiden erlegen. Die Bestattung durch die Stadt Wien fand am 15. Mai 1938 am Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 40, Zeile

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