Der Trafikant / ebook (German Edition)
Heinzl bemerkenswert, die ihre Wege von der anderen Straßenseite wieder herüberverlegt hatte. Lange stand sie mit gekräuselter Stirn vor der Auslagenscheibe und las den Abschnitt mehrmals hintereinander. Irgendwie fühlte sie sich vielleicht an irgendwas erinnert, unmöglich zu sagen an was. Doch sehr unangenehm kann es nicht gewesen sein, denn als sie schließlich mit leicht gesenktem Kopf in Richtung Schwarzspanierstraße davonging, lachte sie aufs Straßenpflaster hinunter, ein kleines, helles Lachen, wie ein fallengelassenes Schmuckstück.
Eine Woche nach Otto Trsnjeks Abtransport hatte Franz zum ersten Mal versucht, mit dem Trafikanten Kontakt aufzunehmen, beziehungsweise überhaupt erst einmal seinen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Auf der Polizeiwache Alsergrund waren die anwesenden Beamten zwar freundlich, hatten aber erstens keine Zeit und zweitens andere Sorgen. Auf der Polizeiwache »Innere Stadt« war der diensthabende Schalterbeamte zwar weit weniger freundlich, konnte jedoch immerhin auf die für solche Fälle zuständige, erst unlängst eingerichtete Dienststelle der Geheimen Staatspolizei verweisen. Also machte sich Franz auf den Weg zum Morzinplatz, wo sich die Gestapo im ehemaligen Hotel Metropol einquartiert hatte, einem pompösen Gebäude mit dicken Marmorsäulen am Eingangsbereich, vor dem nun drei hohe Hakenkreuzstandarten in der sanften Frühlingsluft klackerten. Hinter den Fenstern der oberen Stockwerke fand geschäftiges Treiben statt, Männer in Uniform oder Frauen in grauen Kostümen mit Aktenstößen in den Armen eilten hin und her oder hielten kurz an, wechselten ein paar Worte, nickten, lächelten und salutierten. Hin und wieder legte jemand seine Mütze auf dem Fensterbrett ab, rauchte in den Frühling hinaus und ließ seinen Blick in Richtung Kahlenberg schweifen. Nur die Fenster der untersten Etage waren dunkel und blind, verborgen hinter Gittern und schweren Rollläden aus Metall.
Franz betrat die Eingangshalle, wo ihm sofort ein Portier in blauer Uniform entgegenkam: »Kann man dem jungen Herrn vielleicht irgendwie behilflich sein?«
»Hoffentlich!«, sagte Franz und lauschte für einen Moment, wie seine Stimme in der Weite des Raumes verhallte. »Ich heiße nämlich Franz Huchel und bin auf der Suche nach einem unschuldigen, nichtsdestotrotz aber mitgenommenen oder verhafteten oder verschleppten Trafikanten namens Otto Trsnjek!«
»Unschuldig ist in diesem Haus erst einmal niemand«, sagte der Portier und verzog seinen Mund zu einem angestrengten Lächeln. »Zumindest niemand, der keine Uniform trägt. Hat denn der junge Herr schon eine schriftliche Eingabe gemacht?«
Franz schüttelte den Kopf. »Eigentlich wollte ich überhaupt nichts einreichen, sondern lediglich den Trafikanten Otto Trsnjek dahin zurückholen, wo er hingehört: in seine Trafik!«
»Ohne Eingabe keine Auskünfte«, sagte der Portier.
Franz blickte zur Decke, an der ein riesiger, mit unzähligen Glasteilchen bestückter Luster hing. Kurz kam es ihm vor, als hätte der Luster angefangen, sich zu bewegen und ganz langsam um seine eigene Achse zu drehen. Er senkte seinen Blick wieder. »Dann komme ich eben wieder!«, sagte er.
»Wie meinen?«, fragte der Portier.
»Dann komme ich eben wieder. Morgen. Übermorgen. Den Tag danach. Und so weiter. Jeden Tag zur gleichen Zeit, nämlich zu Mittag. Und zwar so lange, bis mir jemand sagt, wo sich der Otto Trsnjek befindet, wie es ihm geht und wann ich ihn nach Hause mitnehmen kann!«
Und das tat Franz auch. Jeden Tag um Punkt zwölf Uhr mittags sperrte er die Trafik ab, nahm einen kleinen Umweg über die Berggasse (wo er insgeheim hoffte, die gebeugte Silhouette des Professors hinter einem der Vorhänge im ersten Stock zu entdecken), ging danach über den Franz-Josefs-Kai zum ehemaligen Hotel Metropol hinüber, marschierte durch die hohe Eingangshalle, trat vor den Portier und sagte: »Grüß Gott, ich hätte gerne etwas über den Aufenthaltsort des Trafikanten Otto Trsnjek gewusst!«
In den ersten Tagen hatte der Portier sich noch bemüht, hatte unter Aufbringung seiner ganzen verbeamteten Geduldsfähigkeit versucht zu antworten und allerhand von amtlichen Eingaben, behördlichen Anträgen, vorgefertigten Formularen und vorschriftsmäßigen Dienstwegen erzählt. Doch da dieser impertinente Bursche zu alldem zwar immerzu freundlich nickte, sich ansonsten aber ziemlich ungerührt gab und sich, nachdem er ungefähr eine Viertelstunde stur wie ein Esel
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