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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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IV, 2 statt.
    Herr T. wurde im April dieses Jahres erkennungsdienstlich erfasst und angeklagt wegen
    des Verdachts der staatsfeindlichen Betätigung,
    des Vergehens gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung,
    des Vergehens nach dem Heimtückegesetz,
    des unrechtmäßigen Besitzes von parteiamtlichen Stampiglien.
    Über die Beschlagnahmung und die Einziehung der Vermögensstücke und Vermögenswerte (so vorhanden) wird in den nächsten Wochen befunden. Bis dahin sind alle Rechte und Ansprüche Dritter an diesen Vermögensstücken und Vermögenswerten unrechtens. Für diesen Zeitraum wird Herr Franz Huchel, geb. am 7. August 1920 in Nußdorf am Attersee, per einstweiliger Verfügung ermächtigt, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes notwendigen Vorkehrungen zu treffen und die vorläufige Geschäftsführung der Tabaktrafik Trsnjek zu übernehmen.
    Zu unserer Entlastung schicken wir Ihnen die anfallenden persönlichen Wertsachen des Herrn Trsnjek zurück. Es sind dies:
    1 Schlüsselbund
    1 Geldbörse (leer)
    1 Foto (unbekannte Person)
    1 Wollweste
    1 Paar Schuhe
    1 Hose (beschädigt)
    Abschrift: B/MA/G
    Verw. Rat Dr. Kernsteiner
    Unterschrift …………………
     
----
     
    Franz legte das Schreiben auf den Stapel mit den Magazinen für die moderne Frau und breitete die Sachen auf der Verkaufstheke aus: die Schuhe in die Mitte, links davon das Wollwestenbündel, den Schlüsselbund oben am Rand der Schreibunterlage, die Geldbörse neben das Tintenfass und das Foto direkt in den Lichtkegel der Schreibtischlampe. Das Bild zeigte Otto Trsnjek als jungen Mann in Uniform, er stand mit dem Rücken an eine Ziegelmauer gelehnt. Das linke Bein war angewinkelt und gegen die Mauer gestemmt. Neben seiner Schulter hing, vielleicht an einem Nagel oder an einem schlampig vermauerten Ziegel, seine Mütze. Er sah müde aus. Es schien, als wolle er sein komplettes Körpergewicht an die Mauer abgeben. Er blickte knapp an der Kamera vorbei irgendwo in eine weite Ferne. Die Sachen auf der Verkaufstheke sahen schön aus. Man müsste das malen, dachte Franz, oder den Fotografen vom Ponykarussell engagieren, der könnte sie abfotografieren. Ein kleines Trafikantenstillleben. Er nahm die akkurat zusammengefaltete Hose, schlug sie vor seiner Brust auseinander, hielt sie gegen die Auslagenscheibe und ließ den Hosenstumpfzipfel im Gegenlicht pendeln. Das Gewebe war dünn und fadenscheinig. Hätte der Trafikant die Hose noch eine Weile getragen, so hätte sein Knie bald wie durch ein zart vergittertes Fensterchen ins Freie hinausschauen können. Franz legte sie auf die Verkaufstheke zurück, schloss die Trafik ab und ging in sein Kämmerchen. Er zog die Tür hinter sich zu und starrte eine Weile in die Dunkelheit. Plötzlich knickten seine Beine ein, und er sank neben seinem Bett auf den Boden. Und dort blieb er liegen und weinte, bis er keine Tränen mehr hatte.
    Kurz vor Ladenschluss stand er auf und ging wieder nach vorne. Er faltete Otto Trsnjeks Hose zusammen und ging mit ihr in die Fleischerei Roßhuber hinüber. Der Fleischermeister und seine Frau standen hinter der Theke und pressten schwere Fleisch- und Fettstücke durch eine Faschiermaschine. Frau Roßhuber stopfte die dunkelroten, gelben und bläulichen Brocken an der einen Seite hinein, während ihr Mann an der anderen Seite den trägen Schwall rosiger Würmer in Empfang nahm, zu Haufen formte, in Fettpapier wickelte und die faustgroßen Päckchen eins neben dem andern auf eine Blechplatte patschen ließ. Als die Tür aufging und der Trafikantbub von nebenan hereinkam, hoben sie nicht einmal den Kopf, bückten sich nur noch umso gewissenhafter an die Maschine heran. Doch als Franz die kleine Schwingtür neben dem Eiskasten aufstieß und zu ihnen hinter die Theke kam, einfach so, ohne zu grüßen, ohne zu fragen, ohne überhaupt irgendetwas zu sagen, da stutzten sie, richteten sich auf, traten einen Schritt zurück und verschränkten ihre blutigen Unterarme vor ihren blutigen Schürzen.
    »Was willst?«, fragte der Fleischermeister und blickte auf die Bodenfliesen hinunter, wo das Blut und das Eiswasser zu seltsamen Schlieren zusammenliefen. Franz legte die Hose neben die fettigen Päckchen auf das Blech und sagte: »Die hat dem Otto Trsnjek gehört. Jetzt ist er tot.«
    Roßhuber wurde blass. Wie Marmor, dachte Franz, wie einer von diesen Marmorheiligen, die in den Kirchen herumstehen und die Leute mit ihren kalten Steinaugen anschauen: groß, blass und starr. Der Fleischer

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