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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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Digitalziffern des Weckers zeigten 7 Uhr 23.
    Das Sonnenlicht drückte sich in breiten, dünnen Bahnen durch die Zwischenräume der Jalousie, die noch zur Hälfte heruntergelassen war, und hauchte die friedliche Atmosphäre eines Sommermorgens in den Raum. Es war schon recht warm drinnen, angenehm warm. Es fühlte sich fast an wie zu Hause, wenn sie am Wochenende aufwachte und in das lachende Gesicht ihres Sohnes blickte, das nur Zentimeter von ihrer Nasenspitze entfernt auf ihrem Kopfkissen ruhte. Wenn Lukas samstags oder sonntags vor ihr aufwachte, was fast immer der Fall war, kam er in ihr Schlafzimmer geschlichen und kuschelte sich ganz vorsichtig neben sie, um sie nicht zu wecken. So blieb er dann geduldig liegen, bis sie aufwachte. Dann aber gab es für ihn kein Halten mehr, es wurde gekuschelt, gekitzelt und geschmust. Nicht selten gipfelte die Aufwachzeremonie in einer wilden Kissenschlacht, in die auch das Federbett und alles andere einbezogen wurde, das greifbar und weich war, begleitet von lautem Gekreische und Gelächter, bis sie sich schließlich beide ermattet und glücklich in die Federn fallen ließen.
    »Ach, jetzt wein doch nicht. Komm, lass uns frühstücken!«
    Sibylle erschrak und sah Rosie an, die ihr aufmunternd zunickte. Sie hatte die Tränen gar nicht bemerkt.
    Mit schnellen Bewegungen wischte sie sich die feuchten Spuren von den Wangen: »Schon gut, Rosie. Ich weine nicht mehr. Ich … ich stehe sofort auf.«
    Da war etwas an der wundervollen Kissenschlachtszene, das sie störte.
Lukas …? Nein, nicht Lukas. Es war etwas anderes. Es war … aber natürlich: Johannes. Er hat nicht mit uns getobt, er war … Wieso war Johannes nicht dabei?
Jetzt, wo sie darüber nachdachte, sah sie das Bild deutlich vor sich, wie er aussah, wenn er mit verknautschtem, stoppeligem Gesicht und wirren Haaren neben ihr im Bett lag. Aber eben erst jetzt. Das war alles sehr seltsam.
    Rosie machte auf sich aufmerksam, indem sie übertrieben laut ausatmete. Sie stand in der Nähe der Tür, die Arme vor dem gewaltigen Busen verschränkt, und sah sie mit schief gelegtem Kopf auffordernd an.
    Sibylle schwang die Beine aus dem Bett. »Ich komme ja schon.«
    Wenige Minuten später saßen sie sich an einem Tisch gegenüber, der bequem für vier Leute Platz geboten hätte.
    Die Küche machte einen fast sterilen Eindruck, selbst von den Krümeln, die beim Aufschneiden der Brötchen immer entstanden, war nichts zu sehen. Der gedeckte Tisch war der einzige Zeuge dafür, dass diese Küche benutzt wurde, was nach Sibylles Gefühl einfach nicht zu der flippigen Frau passen wollte, die sie kennengelernt hatte.
    Rosie hatte ihr nach dem Aufstehen eine noch verpackte Zahnbürste gegeben. Sie musste immer mindestens eine frische Zahnbürste im Haus haben, hatte sie erklärt, für den Fall, dass einer ihrer Liebhaber bei ihr übernachtete.
    Nun stocherte sie in dem Berg Rührei herum, den Rosie ihr auf den Teller getan hatte, und zwang sich immer wieder, eine Gabel voll in den Mund zu stecken, obwohl sie überhaupt keinen Appetit hatte.
    »Rosie?«
    »Ja?«
    »Ich war gestern gar nicht spazieren.« Sie wandte den Blick nicht von dem Rührei ab.
    »Du warst was nicht?«
    Nun sah Sibylle doch auf. »Gestern Nachmittag. Bevor ich mich hingelegt habe, da war ich nicht spazieren.«
    Verblüffung und Unverständnis legten sich auf Rosies rundliches Gesicht. »Aber … wo warst du sonst, wenn nicht spazieren?«
    »Ich habe mich mit dem Mann getroffen, der mich beobachtet hat, im Krankenhaus und später in der Adolf-Schmetzer-Straße. Als du mich abgeholt hast. Ich hab dir doch von ihm erzählt.«
    Rosie legte die Gabel auf dem Teller ab und lehnte sich zurück, was ihr Stuhl mit einem kläglich knarrenden Geräusch quittierte. »Aber wie … wie ist der denn hierhergekommen? Und was wollte er von dir?«
    Sibylle setzte das Stochern in ihrem Rührei fort. »Er hat hier gewartet. Und als wir zurückgekommen sind, da hat er mir ein Zeichen gegeben.«
    Rosie schüttelte den Kopf. »Na so was. Erzählt mir etwas von Spazierengehen und trifft sich dann wie ein verliebter Teenager mit einem Mann hinter den Hecken.«
    Sie hatte es kaum ausgesprochen, da spürte Sibylle schon ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Gleichzeitig bemerkte sie, dass Rosie kurz die Augen schloss.
    »Woher weißt du das, Rosie?«
    »Hm?«
    »Ich habe nicht gesagt, wo ich mich mit ihm getroffen habe.«
    Sie sah der rothaarigen Frau fest in die Augen und hatte

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