Der Trakt
erloschen waren, hatte er noch eine Stunde gewartet und sich dann erlaubt, ein wenig zu schlafen.
Der Sitz des BMW war bequemer als der seines alten französischen Kleinwagens, aber er war bei jedem kleinsten Geräusch, das durch das zu einem Viertel geöffnete Seitenfenster ins Wageninnere gedrungen war, sofort hellwach gewesen. Eine Gewohnheit, von der er wahrscheinlich nie mehr loskommen würde. Selbst von dem sanft schleifenden Geräusch, mit dem sich eine Katze um sieben Minuten nach drei durch die Buchsbaumhecke neben ihm gedrückt hatte, war er aufgeschreckt.
Gegen fünf Uhr stellte er dann die Rückenlehne wieder senkrechter. Er dachte an Jane.
Viel später kamen die Frauen dann aus dem Haus und setzten sich ins Auto. Hans ahnte schon, wo sie als Nächstes hinfahren würden. Den Besuch in diesem Altenheim hatte der Doktor zwar nicht vorausgesagt, dafür aber einen anderen.
Seine Vermutung verstärkte sich, als sie auf die Autobahn fuhren, und wurde zur Gewissheit, als sie sich Stadtamhof näherten.
Die Parkmöglichkeiten in der Nähe des Hauses, vor dem der rote Wagen anhielt, waren schlecht. Hans bog in eine kleine Seitengasse ein und fand einen freien Platz, der für Anwohner reserviert war. Das Risiko eines Strafzettels konnte er eingehen, er war mit Joachims Wagen unterwegs. Sein eigenes Auto stellte er niemals an einer Stelle ab, an der er vielleicht einen Strafzettel bekommen könnte. Es war wichtig, dass er keinerlei Kontakt zur Polizei bekam, durch den er vielleicht als Element aus einer wichtigen Ereigniskette herausgerissen wurde. Das konnte verheerende Folgen haben.
Wenn ihn in diesem Moment zum Beispiel ein Polizist aufhalten würde und er dadurch nicht sehen könnte, was dort drüben geschah, würde vielleicht Jane etwas geschehen, das er, Hans, unter allen Umständen hätte verhindern müssen, dann aber nicht mehr würde beeinflussen können.
Als Folge davon würde Jane vielleicht Dinge tun, die dazu führten, dass sie von Vorgängen erfuhr, von denen sie keinesfalls hätte erfahren dürfen. Darüber würde der Doktor sehr zornig werden, denn er könnte Schwierigkeiten dadurch bekommen. Eine ganze Menge Schwierigkeiten.
Der Doktor würde ihm vielleicht befehlen, etwas mit Jane zu tun, das er nicht tun konnte. Und dann würde vielleicht etwas ganz Entsetzliches passieren.
Also würde er, Hans, den Polizisten mit einem kurzen, schnellen Stich in den Nacken töten müssen, damit die Ereignisse um Jane Doe so stattfinden konnten, wie der Doktor das geplant hatte. Durch den Tod des Polizisten allerdings würden sich wiederum andere Abfolgen von Ereignissen ergeben, die … –
Hans musste aufhören, darüber nachzudenken.
Normalerweise versuchte er, diese Dinge immer bis zum bitteren Ende durchzudenken. Aber das dauerte meist sehr lange und führte auch manchmal dazu, dass er laut schreien musste, weil er die unglaubliche Menge an Auswirkungen einfach nicht mehr überblicken konnte, die sich durch einen kleinen Eingriff in den Lauf der Dinge ergab.
Als er wieder in die Straße einbog, in der das Haus lag, stellte er zu seiner Erleichterung fest, dass das rote Auto noch an der gleichen Stelle stand. Hinter dem Steuer saß eine Person, und Hans wusste auch, wer das war.
Hans hockte sich in einer Entfernung von etwa 50 Metern auf den Rand eines steinernen Blumenkübels und wartete.
Nach etwa zehn bis zwölf Minuten kam ein Polizeifahrzeug von links. Sekunden später folgte von rechts mit hoher Geschwindigkeit ein Zivilfahrzeug und hielt direkt hinter dem Streifenwagen, der aus der gleichen Richtung gekommen war.
Zwei Männer stiegen aus und unterhielten sich hektisch mit einem der Uniformierten, der aus dem grün-weißen Fahrzeug regelrecht herausgesprungen war.
Hans kannte die Polizisten in Zivil. Einen davon noch besser als den anderen.
18
Sibylle glaubte, Elkes Blick in ihrem Rücken zu spüren, als sie zielstrebig auf die kleine, gemütliche Küche zuging. Dort saßen sie meistens zusammen, tranken Cappuccino, redeten, lachten …
Sie setzte sich an den kleinen Tisch auf den Stuhl, auf dem sie immer saß, und sah Elke an, die ihr gefolgt war.
»Kann ich bitte einen Cappuccino haben?«
Elke nickte mit sorgenvoller Miene. »Ja, natürlich. Mit zwei Löffeln Zucker?«
Sibylle stieß ein kurzes Lachen aus. »Du weißt genau, dass ich keinen Zucker im Cappuccino mag. Kannst du diese Spielchen bitte sein lassen?«
Ohne Vorankündigung brach Elke in Tränen aus. Sie legte sich
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