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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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wieder, und deine enge Freundin interessiert sich für eine fremde Frau, während du krank vor Angst nach deinem Kind fragst.«
    Ganz kurz, für höchstens eine Sekunde, sah Rosie zu ihr herüber. »Ich möchte deiner Freundin Elke wirklich nicht zu nahe treten, aber ich finde diese Reaktion von ihr reichlich merkwürdig.«
    »Du hast ja recht. Aber aus welchem Grund verhält sie sich so?«
Ich verstehe das nicht, ich verstehe das alles einfach nicht.
    Rosie atmete schnaubend aus, antwortete aber nicht.
    »Du denkst, sie steckt mit Hannes unter einer Decke, oder?«, hakte Sibylle nach. »Du glaubst, Hannes hat sie angerufen und gewarnt, als er erfahren hat, dass ich diesen beiden Polizisten entwischt bin. Hab ich recht?«
    Als Rosie weiterhin schwieg, wandte Sibylle sich ab und lehnte die Stirn an die Seitenscheibe.
    ›Wir begegnen uns im Traum,
fernab von den Stürmen der Welt.
Ich will in deine Augen schau’n,
bis du in meine Arme fällst,
denn ich weiß, dass es dich gibt.
Früher, später,
jeden Tag etwas näher,
denn all mein Irren ist der Weg zu dir.‹
    Sie hörte die Stimme von Peter Maffay so deutlich, als säße er direkt neben ihr und würde sein Lied nur für sie singen.
    Woher kommen diese Lieder?
Sie konnte sich nicht daran erinnern, zu irgendeinem Zeitpunkt ein Fan von Peter Maffay gewesen zu sein, und doch kannte sie viele seiner Texte, Zeile für Zeile.
Woher nur?
    Die glatte Kühle der Glasscheibe tat gut. Sie sah dabei zu, wie in einer endlosen scheinenden Reihe Bäume und Büsche auf der linken Seite auftauchten und im Bruchteil einer Sekunde rechts wieder aus ihrem Sichtfeld verschwanden. Sie versuchte, einzelne Bäume mit den Augen auf ihrem kurzen, schnellen Weg entlang des Fensters einzufangen und sie zu verfolgen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Sie waren einfach zu schnell.
    Nach und nach verschmolzen Büsche und Bäume zu einem grünbraunen Fluss, der allen Naturgesetzen zum Trotz in einem vertikalen Flussbett direkt vor dem Seitenfenster mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit vorbeischoss. Gleich darauf veränderte sich das Bild erneut, die Bäume kamen zurück. Nein, es waren andere Bäume. Diese hier flogen nicht vorbei, sie standen ruhig und majestätisch auf einer kitschig grünen Wiese. Bunte Girlanden waren an ihren tief hängenden Zweigen befestigt, und unter diesen Bäumen standen Tische und Stühle, geschmückt mit Luftschlangen und Luftballons. Der Wind spielte mit ihnen, ließ sie sanft hin und her pendeln, um ihnen plötzlich einen kräftigen Stoß zu versetzen, der sie gegen die Lehnen der Stühle prallen ließ.
    Sibylle hatte die Szene erst von schräg oben gesehen, doch mittlerweile war sie zu einem Teil davon geworden, sah lachende Kinder und lächelnde Erwachsene, sah sie wie …
wie aus den Augen eines Teilnehmers dieser … Geburtstagsfeier?
Einer der Tische war besonders bunt geschmückt, und vor dem Platz am Kopfende stand ein Namensschild in Form einer goldenen Krone. Sibylle wusste, welcher Name auf dem Schild stand, bevor sie ihn lesen konnte. Sie wusste auch sicher, dass sie den Namen selbst geschrieben hatte.
    Lukas.
Diese goldene Pappkrone war das Namensschild, das an seinem sechsten Geburtstagsfest auf dem Tisch vor ihm gestanden hatte.
Aber wo ist er? Wo ist mein Junge?
    Sie versuchte sich umzusehen, ihn zu suchen, aber weder der Blickwinkel noch der Ausschnitt dieses Gartens, den sie einsehen konnte, veränderten sich. Sie betrachtete die Gesichter der großen und kleinen Gestalten, die ausgelassen um sie herum standen oder sprangen, suchte darin vertraute Züge und fand keine. Sie wirkten leblos, obwohl die Münder darin sich bewegten, sich erzählten, lachten, es war, als wären diese Kinder und Erwachsenen in eine unsichtbare Hülle gepackt, an der das reale, das fühlbare Leben einfach abprallte.
    Und doch hatte jedes einzelne dieser Gesichter etwas an sich, das ihr bekannt vorkam. Wie konnte das sein?
    Auch der Garten, in dem diese Feier stattfand, war nicht ihr Garten zu Hause. Sie glaubte aber dennoch, ihn schon einmal gesehen zu haben.
Auf einem Foto? Bei jemandem, den ich besucht habe? Ich – weiß – es – nicht.
    Aber dieses Gefühl, dass …
    Die bunten Luftballons verschwanden, und auch die Männer, Frauen und Kinder lösten sich in Luft auf. Die Bäume wurden zu einer formlosen, grünen Masse, bevor sie sich wieder als einzelne Objekte herauskristallisierten, die, sobald Sibylle sie wahrgenommen hatte, auch schon wieder

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