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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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einen Menschen mit so vielen kleinen Falten um die Augen gesehen hatte. Er hatte volles, ergrautes Haar und mochte Anfang 60 sein, vielleicht auch 65. Ausgehend von den braunen Augen zogen sich strahlenförmig dicht nebeneinander unglaublich viele Fältchen zu den Schläfen hin.
    »Na, junge Frau, wo genau in Prüfening soll es denn bitt schön hingehen?«
    Sie nannte ihm die Adresse. Als der Mann losfuhr, sah sie Christian auffordernd an. »Also«, fragte sie leise, »was denkst du denn jetzt wegen Rosie? Ich meine, du warst dir doch gleich so sicher, dass sie es war, die angerufen hat, du musst dir doch auch überlegt haben, warum sie so etwas tut.«
    Christian hob die Schultern. »Nein, das habe ich ehrlich gesagt noch nicht. Ich weiß nicht, warum sie das getan hat, aber du musst doch zugeben, dass sonst niemand in Frage kommt, oder? Wenn sogar die Po… –«, er warf einen schnellen Blick nach vorne, aber der Fahrer schien sich voll und ganz auf den Verkehr zu konzentrieren und hatte außerdem die Musik lauter gestellt, »also, wenn sogar Wittschorek sagt, dass Rosie es war … –«, fuhr er mit gesenkter Stimme fort.
    »Aber das hat er ja gar nicht gesagt. Er meinte nur, es war eine Frau, die angerufen hat, und ihren Namen hat sie nicht genannt. Und er ist sich nur sicher, dass es nicht Elke war.«
    »Und wer bleibt da sonst noch, außer dieser Frau?«
    »Niemand«, antwortete sie und sah auf ihrer Seite aus dem Fenster, ohne wirklich wahrzunehmen, was dort draußen an ihr vorbeihuschte.
    Niemand
hallte es in ihr nach. Ein Wort, das die Antwort war auf all ihre Sehnsüchte, der Grund für ihre ganze Verzweiflung.
    Wer war ihr noch geblieben aus ihrem gewohnten Leben?
Niemand.
    An wen konnte sie sich wenden, wen konnte sie um Hilfe bitten?
Niemanden.
    Wer in dieser fremden, albtraumartigen Wirklichkeit glaubte ihr, dass sie sie selbst war?
Niemand.
    Außer vielleicht Armin Braunsfeld.
    Sie zwinkerte sich den feuchten Schleier vor den Augen weg und suchte an den Häuserzeilen nach etwas, das ihr bekannt vorkam, fand aber nichts.
    Und was, wenn sogar die Polizei … – ›Ich habe Sie vorhin bewusst laufenlassen. Glauben Sie, das hätte ich getan, ohne dafür zu sorgen, dass ich weiß, wohin Sie gehen?‹
Sie wandte sich um und stellte fest, dass gleich mehrere Fahrzeuge hinter ihnen fuhren. Saßen in einem dieser Wagen die Polizisten, die Wittschorek laufend darüber informierten, wo sie sich gerade aufhielt?
Und wenn schon. Was hab ich für eine Wahl.
    Keiner von ihnen sagte etwas während des letzten Kilometers, und als das Taxi anhielt und sie die Acrylglastafel neben der Eingangstür zum Maklerbüro sah, atmete Sibylle auf. Christian reichte dem Fahrer einen Geldschein nach vorne und winkte ab, als der Mann begann, in seiner großen, schwarzen Geldtasche nach Wechselgeld zu suchen.
    Sie stiegen aus, und Sibylle spürte, dass ihre Knie zitterten.
    Was ist, wenn auch Braunsfeld mich nicht erkennt? Nichts! Er wird mich erkennen! Es ist doch nicht möglich, dass alle unter einer Decke stecken und sich gegen mich verschworen haben.
    »Na dann mal los.« Christian legte ihr die Hand auf den Rücken, und Sibylle empfand die Berührung als nicht angenehm. Sie setzte sich in Bewegung, mit jedem Schritt beschleunigte sich ihr Herzschlag. Vor dem Eingang sah sie sich nach Christian um, der nicht neben ihr stand, sondern einige Schritte zur Seite gemacht hatte. Er lehnte gegen den Pfosten einer Straßenlaterne und sah sie an.
    »Kommst du nicht mit rein?«, fragte sie erstaunt, woraufhin er den Kopf schüttelte.
    »Ich warte hier draußen auf dich. Ich möchte den Mann durch meine Anwesenheit nicht noch zusätzlich verwirren.«
    Und warum bist du dann überhaupt mitgefahren, Christian Rössler?
Sibylle machte einen letzten Schritt und öffnete die Tür.
    Armin Braunsfeld saß an seinem Schreibtisch, der im hinteren Teil des großen Raumes stand und optisch durch zwei hochgewachsene Ficus Benjamini vom Rest des Zimmers abgetrennt war. Er zauberte sofort das freundliche Lächeln auf sein Gesicht, das Sibylle so gut kannte, und erhob seinen massigen Körper. »Einen wunderschönen guten Tag«, sagte er fröhlich. »Bitte, kommen Sie ruhig näher, und keine Angst, ich habe schon gegessen. Hahaha …«
    Sibylle blieb wie angewurzelt stehen.
Ruhig bleiben. Nicht verzweifeln. Bleib ruhig, Sibylle, bleib ruhig …
Offensichtlich war ja tatsächlich etwas mit ihrem Äußeren geschehen, es war also nicht weiter

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