Der Traum der Hebamme / Roman
gefragt, ob Christian nicht unsichtbar zwischen ihnen stand. Und gerade stellte er sich diese Frage von neuem. Würde sie ihn jemals so lieben, wie sie Christian geliebt hatte?
Ein Zweifel, der in seinen Eingeweiden wühlte und seine Laune nicht gerade besserte.
»Willkommen in Weißenfels!«, rief Thomas. Er zügelte den Grauschimmel, nickte Lukas und seiner Mutter zur Begrüßung zu und wendete das Tier, mit dem er wie verwachsen schien. Offenkundig hatte er in den Wintermonaten viel Zeit damit verbracht, sich mit dem Hengst vertraut zu machen, um mit ihm eins zu werden.
Auf dem Burghof angelangt, veranlasste der junge Ritter, dass den Reisenden die Pferde abgenommen und ein Trunk zur Erfrischung gebracht wurde.
»Ich soll Euch beide gleich zu Graf Dietrich geleiten. Geht es meinen Brüdern gut?«
»Ja, sie lassen dich grüßen. Du würdest staunen zu sehen, wie gut Daniel inzwischen mit dem Schwert ist«, berichtete Marthe und umarmte ihren Erstgeborenen.
»Das will ich doch hoffen«, knurrte Thomas. »Er hat Vaters und Euren Ruf zu verteidigen.«
Das war an Lukas gerichtet, der sich insgeheim darüber freute, von seinem Stiefsohn mit Christian in einem Atemzug genannt zu werden.
Vergeblich hielt Marthe nach Clara und Änne Ausschau. Das hat bestimmt Dietrich so eingerichtet, überlegte sie. Um Lukas’ Zorn – sollte er noch nicht verebbt sein – als Erster abzufangen.
Während sie über den Hof schritten, hielt Thomas seinen Stiefvater für einen Moment zurück. »Seid nicht so streng mit Clara!«, bat er zu dessen Verblüffung. »Sie ist glücklich. Und das hat sie verdient nach all dem, was sie durchmachen musste. Ihr müsst nur sehen, wie ihre Augen leuchten, wenn sie bei ihm ist. Dann werdet Ihr es verstehen.«
Dietrich empfing Marthe und Lukas in aller Höflichkeit, als sie in seiner Kammer vor ihm niederknieten.
»Esst, trinkt«, bot er ihnen an und wies auf die köstlich duftenden Speisen, die auf dem Tisch standen. »Wünscht Ihr, dass ich Euch ein Bad richten lasse, damit Ihr Euch nach der langen Reise erfrischen könnt?«
»Ich würde es vorziehen, wenn Ihr gleich zur Sprache bringt, weshalb Ihr uns gerufen habt«, erklärte Lukas kühl, und ein schmerzlicher Zug huschte über Marthes Gesicht.
Dietrich ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihn diese Zurückweisung traf, sondern gab Thomas ein Zeichen. Der ging hinaus, und wenig später betrat Clara die Kammer, mit ihrer Tochter auf dem Arm.
Im ersten Augenblick war Lukas ganz vom Anblick der kleinen Änne gefangen, in deren kindlichen Zügen er so viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter entdeckte. Marthe streckte Clara sofort die Arme entgegen, um ihr das Töchterchen abzunehmen.
Und da erst begriff Lukas.
Auch wenn es nicht wirklich überraschend kam – es nun zu sehen, verschlug ihm für einen Augenblick die Sprache. Brüsk stand er auf, als wolle er sofort gehen, und fragte voller Bitterkeit: »Ihr ruft uns hierher, um mir zu zeigen, dass meinen Stieftochter mit einem Bastard schwanger geht?!«
»
Bitte
setzt Euch!«, wies Dietrich ihn entschieden zurecht, und allein die Tatsache, dass ein Graf einem Niedergestellten gegenüber »Bitte« sagte, zeigte, welche außergewöhnliche Wertschätzung Lukas trotz seiner Störrischkeit bei ihm genoss.
Clara war zusammengezuckt und wollte sich in eine der Fensternischen zurückziehen, so weit von den anderen entfernt, wie es nur ging. Doch Dietrich forderte sie auf, an seiner Seite Platz zu nehmen.
»Ich habe Euch
unter anderem
gerufen, um Marthe zu bitten, ihrer Tochter in der schweren Stunde beizustehen, wenn es so weit ist«, erklärte er streng, aber ruhig. »Clara musste ihr erstes Kind unter schrecklichen Bedingungen zur Welt bringen, auf der Flucht, nachts mitten im kalten Wald. Wenn sie Euch wirklich etwas bedeutet, werdet Ihr so wie ich wünschen, dass sie diesmal die beste Pflege hat. Ja, es wird ein Bastard – aus Gründen, die niemand besser kennt als Ihr. Aber ich werde ihn legitimieren und dafür sorgen, dass dieses Kind die beste Erziehung bekommt und einmal Bischof oder Äbtissin wird.«
Das ist wohl so üblich im Hause Wettin, dachte Lukas zynisch in Erinnerung an Ottos jüngeren Bruder Dietrich von Landsberg, den einstigen Markgrafen der Ostmark. Dieser musste eine polnische Königstochter heiraten, um Frieden an den Grenzen seiner Mark zu schaffen, doch geliebt hatte er eine Ministerialentochter, Kunigunde von Plötzkau. Sie gebar ihm zwei
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