Der Traum der Hebamme / Roman
ausbaden.«
»Wie schade!«, meinte der stämmige Knecht. Dann zog ein Grinsen über sein Gesicht. »Dann werden wir diese Geschichte behüten wie einen geheimen Schatz, bis bessere Zeiten kommen …«
»Ja, bis Ihr und der Herr Lukas und Frau Marthe hier wieder einziehen«, versicherte die alte Elfrieda. »Gott geb, dass jene Zeiten bald anbrechen.«
Ohne ein Wort zu erwidern, ging Thomas in den Stall, um sich zu vergewissern, dass die Reisigen noch tief und fest schliefen. Kuno und Bertram wachten dort über die berauschten und gefesselten Reitknechte.
»Geht nach Hause!«, forderte Thomas die beiden auf. »Auf euch darf kein Verdacht fallen.«
Sie hatten zwar bis zum Abend auf der Burg Dienst geleistet, aber nun mussten sie sich an den Nachtwachen vorbei durch die Stadt schleichen.
»Wir danken Euch von ganzem Herzen – und viele Freiberger werden es auch tun und für Euch beten«, versicherte Kuno zufrieden grinsend.
Thomas nickte ihm nur zu und setzte sich auf ein Bündel Stroh.
Er konnte erst am Morgen weg, wenn die Stadttore geöffnet wurden, und wollte sich vergewissern, dass keiner der Überwältigten vor der Zeit aufwachte. Außerdem musste er bei Tagesanbruch das Gesinde fesseln, um jeglichen Verdacht von den Knechten und Mägden fernzuhalten.
Elfrieda kam zu ihm und brachte ihm einen Krug Bier, kaltes Fleisch und feines, helles Brot, wie es nur Leuten von Stand vorbehalten war. Dann bewaffnete sie sich mit einem derben Stock und stellte sich neben den Reisigen auf, unverkennbar darauf aus, jedem den Knüppel über den Kopf zu ziehen, der auch nur die geringste Regung zeigte.
Sie müssen es wirklich übel getrieben haben, wenn schon ehrbare Witwen bereit sind zuzuschlagen, dachte Thomas. Andererseits wusste er von seiner Mutter, dass diese Alte ziemlich gewitzt war. Sie hatte es nicht nur geschafft, Rutgers Männer halbwegs im Schach zu halten, und damit Peters Schwester Anna – die Frau des Stallmeisters – geschützt, die früher in diesem Haus als Magd gearbeitet hatte. Morgen würde sie auch sehr überzeugend in großes Jammern und Barmen angesichts des schrecklichen Überfalls ausbrechen.
Trotz der nächtlichen Stunde verspürte Thomas keine Müdigkeit, während er aß, trank und wachte, die erbeuteten Waffen neben sich.
In ihm rangen widersprüchliche Gefühle: Triumph angesichts der schmählichen Lage, in die er seinen Erzfeind gebracht hatte, und die Unzufriedenheit darüber, dass er ihn immer noch nicht in einem ehrlichen Zweikampf töten durfte. Hinzu kam die Sorge, ob sein Eingreifen tatsächlich den Freibergern die Lage erleichtern oder am Ende gar verschlimmern würde.
Und dann waren da noch die Worte, die Rutger ihm zum Schluss zugeworfen hatte. Über Marthe, seine Mutter. Das klang nicht wie erfunden. Doch er konnte weder seine Mutter noch seinen Stiefvater danach fragen.
Für eine erfolgreiche Mission fühlte sich das ziemlich bitter an. Und im Verlauf dieser Nacht begann sich Thomas zu fragen, ob er wirklich als Sieger aus diesem Zusammentreffen hervorging.
Immerhin, zwei der Übeltäter waren tot: Randolf und Ekkehart. Die beiden anderen würden dafür noch mit ihrem Leben bezahlen, genauso wie Rutger. Dafür wollte er sorgen. Sofern Lukas es nicht längst plante.
Freuden und Sorgen
A ls Thomas nach seinem Handstreich in Freiberg wieder auf Burg Weißenfels eintraf, sah er zu seiner Verblüffung Lukas’ Fuchshengst in den Stallungen. Er hatte vermutet, seine Mutter und Lukas wären unmittelbar nach seinem Aufbruch wieder nach Eisenach geritten, und seitdem war einige Zeit verstrichen. Doch bevor er weiter darüber nachgrübelte, wollte er Graf Dietrich vom Gelingen seiner Mission in Freiberg berichten.
Es war dunkel, die Abendmahlzeit musste schon vorüber sein, und die Halle war verdächtig leer. Sonst saßen um diese Zeit immer noch da und dort ein paar Leute beieinander und erzählten sich Geschichten oder würfelten. Verwundert und zunehmend besorgt, ging Thomas die Treppe hinauf, begrüßte auf dem Gang Dietrichs Leibwachen und bat nachzufragen, ob der Graf ihn noch empfangen würde.
Er wurde vorgelassen und traf in der Kammer zu seinem Erstaunen Dietrich und Lukas beieinander, beide mit todernsten Mienen.
Dann drang aus dem benachbarten Raum ein unterdrückter Schrei, und mit einem Mal begriff er … Über seinem Abenteuer in Freiberg hatte er ganz vergessen, dass die Zeit für Claras Niederkunft heran war!
Bestürzt zeigte er nur die erbeuteten Waffen
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