Der Traum der Hebamme / Roman
als Zeichen seines Erfolges und fragte: »Darf ich meiner Mutter Bescheid geben, dass ich zurück bin? Damit sie sich wenigstens um mich keine Sorgen mehr macht?«
Zustimmend nickte Dietrich, und Thomas ging erleichtert hinaus.
Natürlich würde niemand einen Mann in die Gebärkammer lassen. Aber hin und wieder musste eine der Mägde herauskommen, und durch sie konnte er eine Nachricht übermitteln. Vielleicht ließ sich seine Mutter sogar kurz blicken und sagte ihm, wie es Clara ging. Die Schreie aus der Kammer verhießen nichts Gutes …
Wenn er könnte, würde er die Schmerzen auf sich nehmen, die seine Schwester gerade durchlitt.
Lukas und Dietrich hatten sich schon schweigend gegenübergesessen, bevor Thomas kam. Nachdem er die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, gaben sie sich von neuem ganz den Geräuschen aus der Nebenkammer hin.
»Es ist kaum auszuhalten. Noch nie habe ich mich so hilflos gefühlt«, gestand Dietrich schließlich.
Lukas verstand ihn. Er erinnerte sich genau, wie ihm zumute war, während Marthe vor sieben Jahren seinen jüngsten Sohn zur Welt brachte. Es geschah einfach zu viel Schlimmes bei Entbindungen, zu viele Frauen ließen ihr Leben dabei oder später im Wochenbett. Und dies war eine Angelegenheit, bei der er Marthe nicht helfen konnte, so sehr er es auch wünschte, ebenso wenig, wie er jetzt etwas für Clara zu tun vermochte.
Auch deshalb verspürte keiner von beiden Lust, zur Jagd zu reiten oder sich zu betrinken, wie es andere Männer taten, wenn ihre Frauen niederkamen.
Graf Dietrich gab sich einen Ruck und stand auf. »Ich werde in die Kapelle gehen und die Heilige Jungfrau um Beistand bitten.«
»Darf ich Euch begleiten? Oder wollt Ihr lieber allein sein?«, fragte Lukas, dem gerade aufging, dass er doch etwas für Clara tun konnte: für sie beten.
Als Dietrich ihn aufforderte, gemeinsam mit ihm Fürsprache um Claras Leben und das ihres Kindes zu halten, verharrte Lukas einen Moment und sah ihn an.
»Ihr liebt sie wirklich, nicht?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage.
»Ja. Von ganzem Herzen. So, wie Ihr Eure Frau liebt. Und ich bete inständig, dass sie diese Nacht überlebt, denn ich weiß nicht, wie ich ohne sie auskommen soll.«
Nachdenklich folgte Lukas ihm in die Kapelle, und Seite an Seite knieten sie vor dem Bildnis der Gottesmutter nieder. Dietrich betete für das Leben der Frau, die sei Ein und Alles war, und Lukas für die Stieftochter, die er liebte, als wäre sie sein leibliches Kind.
Als der Morgen nahte, waren beide Männer immer noch in die Andacht vertieft, auch wenn ihnen die Knie schmerzten und die Füße taub geworden waren.
Rotkehlchen und Amsel sangen bereits, als sich vernehmbar eilige Schritte näherten.
Beklommen fuhr Dietrich herum – in Erwartung einer schlimmen Nachricht. Claras Wehen hatten bereits am Mittag begonnen, und wenn sich die Geburt so lange hinzog, konnte dies kein gutes Zeichen sein.
Es war Norbert, der mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck in der Tür stand. »Ihr habt einen Sohn, Hoheit, meinen Glückwunsch!«
»Und seine Mutter?«, fragte Dietrich hastig, der kaum zu atmen wagte.
»Ist wohlauf und freut sich darauf, Euch zu sehen.«
So schnell es ging mit den vom langen Knien schmerzenden Muskeln, richteten sich die beiden Männer auf und hasteten die Treppen hinauf.
Eine alte Magd stand vor der Wöchnerinnenkammer, öffnete hastig die Tür, als sie den Grafen kommen sah, und verneigte sich tief. »Ihr werdet erwartet, Hoheit!«, sagte sie, und Freude stand in ihrem runzligen Gesicht.
Dietrich trat zuerst ein und ging sofort mit großen Schritten auf das Bett zu, in dem Clara lag, bleich, erschöpft, aber frisch gekleidet und gekämmt, mit leuchtenden Augen, das Neugeborene im Arm.
Wortlos kniete Dietrich an ihrem Bett nieder und starrte auf seinen Sohn, der so unglaublich winzig war. Dann griff er nach Claras freier Hand und küsste jeden einzelnen Knöchel.
»Du machst mich unendlich glücklich …«, flüsterte er und hatte Mühe, seine Stimme zu beherrschen.
Sie strahlte ihn an. »Schaut nur, er ist Euch wie aus dem Gesicht geschnitten! Gesund und kräftig ist er …«
Marthe war unterdessen an Lukas’ Seite getreten, nun starrten sie beide auf das Liebespaar und ihren Enkelsohn.
Er liebt sie wirklich, dachte Lukas erneut. Und angesichts seiner gerade erst überwundenen Angst, Clara könnte bei der Entbindung gestorben sein, in Erinnerung daran, wie oft er gefürchtet
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