Der Traum der Hebamme / Roman
anstelle einer Begrüßung zu seinem Schwager Gerald.
»Ich habe ihn mir nur stehen lassen, um nicht erkannt zu werden. Niemand außer dir darf wissen, dass ich hier war«, entgegnete der Marschall von Markgraf Albrecht verhalten. »Ich erfuhr, dass du nach euerm Sieg bei Röblingen in Graf Dietrichs Dienste getreten bist. Reitest du mit mir ein Stück hinaus, damit wir unbeobachtet miteinander sprechen können?«
Das wird ja immer absonderlicher, dachte Lukas, während er zustimmte. Er ließ seinen Fuchshengst satteln und gab Conrad Bescheid, er müsse dringend fort und sei wohl erst zum Abend wieder zurück.
In Geralds Gesicht versuchte er zu ergründen, was diesen hierhergeführt haben könnte. Dass der Schwager ihn in einen Hinterhalt locken wollte, erwog Lukas einen kurzen Moment lang durchaus, verwarf den Verdacht jedoch wieder. Er und Gerald waren nie Freunde gewesen, und dessen Ernennung zu Albrechts Marschalls teilte sie endgültig gegnerischen Lagern zu, auch wenn Gerald ihm einmal zur Flucht aus Albrechts Kerker verholfen hatte. Aber um ihn in eine Falle zu schicken, würde er nicht persönlich erscheinen, sondern ganz sicher einen anderen beauftragen. Und sollte es zum Zweikampf kommen – Lukas vertraute darauf, mit ihm fertig zu werden.
Gerald war ein sehr guter Kämpfer, Lukas jedoch herausragend.
Gemeinsam ritten sie den Burgberg hinab, durchquerten die Furt, wobei jedem von ihnen die Szene erneut lebendig vor Augen erstand, wie Albrechts erster Angriff auf Weißenfels hier scheiterte. Lukas wies seinem Begleiter den Weg zu einem Platz am Rande eines Wäldchens. Dort stieg er ab und ließ sein Pferd grasen.
Gerald tat es ihm nach. In seinem Gesicht arbeitete es; er schien nach Worten zu suchen, um die Unterredung zu eröffnen. Lukas unternahm nichts, ihn zu ermutigen. Schließlich setzte er sich auf einen umgestürzten Baumstamm, der auf einer Seite dicht mit Moos bewachsen war, und machte eine einladende Geste.
»Ich habe nicht viel Zeit«, begann Gerald endlich – eine merkwürdige Eröffnung angesichts dessen, dass er gerade ziemlich lange geschwiegen hatte. »Weder Fürst Albrecht noch einer seiner Vertrauten weiß, dass ich hier bin und mit dir spreche. Und sollte er es je erfahren, bin ich ein toter Mann – was mich jedoch nicht davon abhalten wird, ihn zu verraten.«
Erneut zog Lukas verblüfft die Augenbrauen hoch.
Dass Gerald ihn aus den Verliesen befreit hatte, statt ihn gemäß Albrechts Befehlen zu Tode foltern zu lassen, war eine Sache. Marthe vermutete, damals habe ihn die jähe Hinrichtung seines Freundes Reinhard, Claras Mann, dazu getrieben, dem Schwager zu helfen.
Doch seinen Lehnsherrn zu verraten? Das sah Gerald nicht ähnlich, der so stolz gewesen war, zum Marschall ernannt worden zu sein.
Lukas verkniff sich jedes Wort, das den anderen vielleicht abschrecken könnte, und sah ihn stattdessen auffordernd an.
Der Bruder seiner verstorbenen ersten Frau holte tief Luft, und plötzlich strömte nur so aus ihm heraus, worüber er Nächte gegrübelt hatte.
»Albrecht ist beim Kaiser in Ungnade gefallen. Er ist vergeblich nach Sizilien gereist, der Staufer hat es abgelehnt, ihn zu empfangen«, berichtete er, während er unruhig auf und ab ging. »Da sich auch die Ministerialität gegen ihn gewandt hat, fürchtet er ernsthaft um seine Macht. Es gibt Gerüchte, dass der Kaiser Truppen gegen die Mark Meißen führen wird … Elmar und ich hatten Order, ihn diesseits der Alpen zu empfangen und Bericht zu erstatten. Danach entschied er: Beim geringsten Anzeichen dafür, dass der Kaiser angreift, will er sämtliche Dörfer und Felder niederbrennen, alle Befestigungen zerstören lassen und sich mit seinen verbliebenen Männern in Leipzig verschanzen. Er reist jetzt sehr langsam, weil Sophia erneut schwanger ist und Schonung braucht. Sie kann kaum einen Bissen im Leib behalten. In drei bis vier Wochen werden sie in Freiberg erwartet. Ich wurde vorausgeschickt, um sämtliche Kämpfer zu sammeln. Doch ich will nicht tatenlos zusehen und schuld daran sein, wenn das ganze Land verwüstet wird. Deshalb bin ich hier.«
Mit schon fast hilflos wirkender Geste schob Gerald die staubige Bundhaube zurück und fuhr sich durchs Haar. Nun sah er seinen Schwager direkt an.
»Du musst ihn daran hindern!«, beschwor er ihn. »Ich schwöre bei meiner Ehre als Ritter, dass ich tun werde, was ich kann, um dir zu helfen, wenn auch vorerst im Verborgenen. Ich werde mich offen auf eure Seite
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