Der Traum der Hebamme / Roman
das nicht entbehren, was einem verheiratetem Mann rechtmäßig zusteht!«
Nun stiegen ihr Tränen in die Augen.
Dietrich war gleichzeitig gerührt und erschrocken angesichts ihres Ansinnens.
»Das ist sehr großzügig von Euch«, sagte er und küsste ihre Stirn. »Und auch sehr tapfer. Doch Ihr stellt meine Ehrenhaftigkeit in Frage, wenn Ihr meint, ich würde mich nicht gedulden, bis Ihr wirklich zur Frau geworden seid.«
Jutta wich ein Stück zurück, beleidigt und verzweifelt.
»Warum weist Ihr mich ab? Wo ich Euch eine gute Gemahlin sein will! Um Euch dafür zu entschädigen, dass Ihr jemanden heiraten musstet, für den Ihr keinerlei Zuneigung empfindet! Was kann ich tun, damit Ihr mich liebt?«
Nun ergriff Dietrich ihre Hand und küsste sie.
»Meine Zuneigung habt Ihr längst, ich schwöre es«, erklärte er sehr ernst. »Und Liebe wird daraus werden, sobald wir das Lager teilen. Aber erst, wenn Ihr alt genug seid, um ein Kind austragen zu können, ohne dabei Schaden zu nehmen. Nun geht ins Bett und ruht.«
Er führte sie zur Tür und wartete, bis sie in ihrer Kammer verschwand. Dann ging er zurück, setzte sich an den Tisch und stützte den Kopf in die Hände.
Warum konnte er jetzt nicht Clara bei sich haben? Sie fehlte ihm so sehr!
Er ging ans Fenster, legte den Kopf in den Nacken und starrte hinaus in den sternenklaren Himmel. Er war einmal ein Mann der Tat gewesen, von schnellen Entschlüssen, gefürchtet mit dem Schwert, bewährt in der Schlacht.
Jetzt stand er hier und war gelähmt in Ratlosigkeit.
Er konnte nicht die Frau lieben, an der sein ganzes Herz hing, er konnte nicht die Frau glücklich machen, mit der er vermählt worden war. Und er konnte sein Land und das Land seiner Väter nicht anders retten, als einen guten Mann eine Sünde auf sich nehmen zu lassen, für die eigentlich er als Mörder seines Bruders büßen müsste.
In einem jähen Ausbruch von Zorn und Verzweiflung hieb er mit der Faust gegen die Wand und stieß dabei einen wütenden Schrei aus.
Freiberg, 24. Juni 1195
E in Dutzend voll gerüsteter Reiter näherte sich der Schmiede des Bergschmieds Karl östlich von Freiberg, zwischen den Gruben und Scheidebänken.
Der Anführer der berittenen Schar saß ab und brachte sein Pferd zum Schmied; vielleicht hatte sich ein Hufeisen gelockert, und sein Besitzer wollte den Schaden schnell beheben lassen.
Dass diese Ritter weder Knappen noch Reisige mit sich führten, darüber machte sich hundert Schritte weiter keine der Frauen an der nächsten Scheidebank Gedanken. Auf die Entfernung ließ sich das so genau nicht erkennen, und man tat besser daran, vor hohen Herren den Blick zu senken, um bloß nicht aufzufallen; noch dazu, wenn sie Rüstung trugen und vor Waffen nur so starrten. Also hämmerten die Frauen und Kinder weiter müde und teilnahmslos auf das Gestein ein, um es zu zertrümmern, bevor es in die Schmelzöfen kam, verwünschten die Hitze und den Staub, der ihnen das Atmen schwer machte, und hofften, die Bewaffneten würden keinerlei Kenntnis von ihnen nehmen. Zu oft schon hatte es hier Vorfälle mit edlen Herren gegeben.
Als Karl die Reiter kommen sah, schickte er seinen Gehilfen sofort weg. Der Schmied wirkte so aufgeregt, wie Lukas ihn nur selten gesehen hatte.
»Ihr könnt den geheimen Pfad zum Bergfried nicht nehmen!«, flüsterte er hastig und rieb sich über das von Ruß geschwärzte Gesicht. »Es gab einen Streckenbruch. Zusammen mit ein paar vertrauenswürdigen Leuten habe ich die ganze Nacht durch versucht, ihn zu räumen, aber wir schafften es nicht bis zum Durchschlag. Niemand weiß, wie weit der Gang noch verschüttet ist.«
Lukas wurde flau im Magen angesichts dieser Nachricht. Damit war sein Plan geplatzt, wie sie unerkannt in die Burg gelangen konnten.
Der unterirdische Geheimgang zum Verlies im Bergfried war vor mehr als zehn Jahren auf seine Veranlassung gegraben worden, nachdem Albrecht Christian unter einer verleumderischen Anklage gefangen nehmen ließ. Lukas hatte für den Freund diese Fluchtmöglichkeit vorbereitet, weil zu befürchten stand, dass Albrecht Christians Hinrichtung befahl. Doch Christian lehnte ab und ging in den Tod. Für sein Entkommen hätten etliche Geiseln mit dem Leben bezahlen müssen, und daran wollte er nicht schuld sein.
Niemand außer denjenigen, die ihn gegraben hatten, wusste von der Existenz des unterirdischen Ganges. Das zumindest glaubte und hoffte Lukas.
Hatte der Burgvogt ihn entdeckt und versperrt? Waren sie am
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