Der Traum der Hebamme / Roman
könntet dann mit den Kindern in diesem Haus wohnen bleiben, du kannst weiterhin als Heilerin arbeiten. Es gibt genug Leute hier, die deine Hilfe brauchen, das schaffen deine Mutter und Johanna nicht allein. Daniel nehmen wir zu uns, und Lisbeth und Guntram ziehen zu Jonas. Ich selbst hätte Zbor, ehrlich gesagt, aus mehreren Gründen auch lieber hier. Aber wenn du nach Bora ziehen möchtest …«
»Nein, es ist gut so. Ich möchte hierbleiben«, erwiderte Clara.
Dann sah sie ihren Stiefvater und ihre Mutter stirnrunzelnd an, auch wenn das Lächeln nicht ganz aus ihrem Gesicht verschwand.
»Seid ehrlich: Seit wann plant ihr diese Sache schon?«
»Ganz die Mutter!«, stöhnte Lukas. »Man kann nichts vor euch verbergen. Aber das werde ich dir nicht verraten. Und nun rasch, putz dich ein wenig heraus! Der Bräutigam wartet schon ungeduldig, und wir wollen ihn nicht noch länger auf die Folter spannen.«
Die beiden gingen zu ihrem Haus, und Clara rief schnell Lisbeth herbei, um sich in das grüne Festkleid helfen zu lassen, das Haar neu zu flechten und den zartesten Schleier aufzusetzen. Die Kette mit dem silbernen Kreuz, ein Andenken an ihren Vater, die sie sonst verborgen unter dem Bliaut trug, holte sie nun hervor und zeigte sie offen.
Kaum war Lisbeth mit den Kindern aus dem Haus, bat Boris von Zbor um Einlass. Auch er trug Festkleidung in leuchtenden Farben mit breiten Stickereien, eine fein gearbeitete Fibel und eine Kappe mit Fellbesatz statt einer Bundhaube.
Er sank vor ihr auf ein Knie und sagte: »Clara von Reinhardsberg! Ich bin kein sehr reicher Mann. Aber wenn Ihr die Güte habt, mich zu erhören … Ihr habt mich verzaubert, und ich liebe Euch von ganzem Herzen. Ich schwöre, ich werde Euch ein guter Mann sein und Euern Kindern ein guter Vater.«
Clara pochte das Herz vor Freude und Aufregung. Ihre Stimme zitterte leicht, als sie sagte: »Vielleicht seid Ihr kein reicher Mann … Aber Ihr seid ein aufrechter und tapferer Mann. Das ist es, was zählt.«
»Also nehmt Ihr meine Werbung an?«, fragte Boris, der kaum an sein Glück glauben wollte.
»Ja. Von Herzen gern!«
Und so saß Clara nun an diesem warmen Sommertag inmitten einer großen, lärmenden Hochzeitsgesellschaft an der Seite ihres neuen Mannes. Sie trug ein Kleid aus dunkelrotem, feinem Leinen mit farbenfrohen Stickereien, das Hedwig ihr geschickt hatte, ein silbernes Schapel, ein Geschenk Reinhards zu ihrer Heirat mit ihm, und wunderschönen Schmuck, den ihr Mann ihr vor der Hochzeit mit der Bitte hatte überbringen lassen, sie möge ihn doch an diesem Festtag anlegen: Ohrringe aus kleinen Bergkristallkugeln, die mit ziseliertem Silber eingefasst waren. Es waren unglaublich schön gearbeitete Stücke, ein typisch slawischer Schmuck, den Boris von Zbor auf verschlungenen Wegen über Hansekaufleute geordert hatte, die bis an den fernen, riesigen Fluss Wolga Handel trieben.
Der Bräutigam trug an seinem Festgewand keine der üblichen Fibeln, sondern eine Doppelschließe mit einem ebenso filigranen Muster.
Als Pater Hilbert sie am Morgen vermählt hatte, war noch ein leichter Nieselregen niedergegangen.
»Es bringt Reichtum, wenn es der Braut auf den Schleier regnet«, hatten mehrere Gäste versichert. Doch nun standen nur noch ein paar leichte Wölkchen am Himmel, und die Sonne schien.
Petka, Pawel, Andrej und die drei Marjas hatten allen Hände voll zu tun, Fleisch von den Spießen zu schneiden und Bierkrüge nachzufüllen.
Die Kinder tollten umher, die Hochzeitsgäste lachten, scherzten und brachten Trinksprüche auf die Neuvermählten aus.
Jetzt trat ein Spielmann vor das Brautpaar, und rasch verebbte der Lärm. Auf ihn richteten sich erwartungsvolle Blicke, denn es war für viele hier ein alter Bekannter und besonderer Gast: Ludmillus.
Lukas hatte einige Anstrengungen unternommen, ihn aufzuspüren. Wenn der Sänger auch die Winter am Hofe des Thüringer Landgrafen verbrachte, wo seine Frau und seine Kinder eine Bleibe gefunden hatten und beim Gesinde arbeiten durften – kaum dass die Wege wieder frei waren, ging er auf Wanderschaft, um neue Lieder zu lernen, neue Geschichten zu hören, die er in Reime fasste.
»Das Lied von Bauer Einochs!«, forderten ein paar der älteren Gäste lautstark. Sie kannten die lustige Mär natürlich, wie sich ein armer Bauer am Dorfschulzen und am Pfaffen rächt, die ihm übel mitgespielt hatten, indem er sich ihre maßlose Gier zunutze machte. Doch niemand konnte sie so mitreißend
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